#20 - Wattenmeer

22.12.2021 - Wattenmeer

Diesmal hat uns ein lieber Fotofreund, der Christian, die Erlaubnis gegeben, dieses Bild kommentiert zu veröffentlichen.

Als wir das Bild auf den Lichttisch bekamen, war der erste Gedanke: Hier stört etwas. Was konnte dies sein? Die ins Meer ein ragenden Gräser? Die Asymmetrie der Paddler? Der Pinselbaum? Der Horizont? 

Die Aufnahme ist im Querformat klassisch dreigeteilt aufgebaut: Himmel im oberen Drittel, Meer mit Objekten im mittleren Drittel und im unteren Drittel das grüne Ufer mit Bewuchs.
Farblich ergibt sich eine Abbildung einer Ist-Situation, die fotografisch wie beschrieben inszeniert ist.
Die Leserichtung wird durch die Asymmetrie in der Bewegungsrichtung der fünf Paddler von links nach rechts vorgegeben und durch eine Linkslastigkeit der Objektmenge in der Bewegungsspannung gehalten. Der Pinselbaum, als weiteres Objekt und Landmarke im Wattenmeer, liegt fast im güldenen Schnitt und bildet in der Originalaufnahme mit dem Kopf des zweiten Paddlers von rechts und dem Leuchtturm im Hintergrund eine, aufgrund ihrer Imperfektion, störende Linie. Durch diese (gewollte?) Nebenform wird die allgemeine Ausrichtung der Objekte und Texturen entwertet.
By the way - die Gräser verlaufen ebenfalls quer zum Bildformat, erlangen aber durch ihren Zeigercharakter auf die Paddler hin, eine nicht unerhebliche Bedeutung, die zur Aufwertung der zentralen Bildelemente beiträgt.
Was lag also näher, als per Bildbearbeitung den Horizont etwas "aufzuräumen" und so die Bildstrukturierung etwas klarer zu gestalten. Ich hoffe, Christian verzeiht mir den Eingriff in sein Bild. Bei der Bearbeitung wurden auch noch einige kleine Zacken weiterer Elemente in der Horizontlinie entfernt.
Das Bildelemente und deren Anordnung nicht unerheblich für den Bildausdruck sind, habe ich in MetaMorphosen #4 versucht darzustellen (Die etwas unsaubere Bildbearbeitung ist beabsichtigt).
Daher auch die Entscheidung für die (kleine) Anpassung an der Horizontlinie. Man kann sehr schön erkennen, dass der Pinselbaum genau der Eye-Catcher ist, der das Bild als Anker hält. 

Farblich ist die Szenerie sehr stimmig und gut abgestimmt wieder gegeben. Nichts stört den entspannten Freizeitsport bei ruhiger Wetterlage. Ich habe mich allerdings gefragt, ob alle Paddler noch eine Handbreit Wasser unterm Kiel habe oder dies ein "Trockenübungskurs" ist.
Insgesamt eine gelungene Aufnahme.

Insgesamt eine 📷📷📷📷 Komma fünf für Christian.

Noch ein Tipp: Wenn ihr nach dem Klick oben auf eines der Bilder, die Pfeil-Links oder Pfeil-rechts Taste auf eurer Tastatur drückt, wird der Unterschied sehr schön sichtbar.

Here is the translation for our non-German speaking fans:
Klick here to open
This time a dear photo friend, Christian, gave us permission to publish this picture with commentary.
 
When we got the picture on the light table, the first thought was: Something is disturbing here. What could this be? The grasses jutting into the sea? The asymmetry of the paddlers? The brush tree? The horizon? 
 
The shot is classically divided into three parts in landscape format: Sky in the upper third, sea with objects in the middle third and the green shore with vegetation in the lower third.
In terms of colour, the result is an image of an actual situation that is photographically staged as described.
The direction of reading is determined by the asymmetry of the five paddlers from left to right and is kept in the tension of movement by a leftward bias of the set of objects. The brush tree, as another object and landmark in the Wadden Sea, is almost in the golden section and forms a disturbing line in the original shot with the head of the second paddler from the right and the lighthouse in the background due to its imperfection. This (intentional?) secondary shape devalues the general alignment of the objects and textures.
By the way - the grasses also run at right angles to the picture format, but because they point to the paddlers, they acquire a not inconsiderable significance that contributes to the enhancement of the central picture elements.
So what could be more obvious than to "tidy up" the horizon a bit by image processing and thus make the image structuring a bit clearer. I hope Christian will forgive me for interfering with his picture. During the processing, some small jags of other elements in the horizon line were also removed.
 
In terms of colour, the scenery is very harmonious and well coordinated. Nothing disturbs the relaxed recreational sport in calm weather. However, I wondered whether all the paddlers still had a hand's breadth of water under their keel or whether this was a "dry practice course".
All in all, a successful recording.
 
Overall 📷📷📷📷, 5 for Christian.
 
Another tip: If you press the left or right arrow key on your keyboard after clicking on one of the pictures above, the difference becomes very visible.

 

Die Lyrik zum Schluss

Meer - von Erich Fried

Wenn man ans Meer kommt
soll man zu schweigen beginnen
bei den letzten Grashalmen
soll man den Faden verlieren

und den Salzschaum
und das scharfe Zischen des Windes einatmen
und ausatmen
und wieder einatmen

Wenn man den Sand sägen hört
und das Schlurfen der kleinen Steine
in langen Wellen
soll man aufhören zu sollen
und nichts mehr wollen wollen nur Meer
Nur Meer