#25 - Fahler Mond
☮ 02.04.2022 - Fahler Mond
Es gibt Bilder die sind wie guter Wein. Durch etwas Reifung werden sie besser. Nicht das wir hier etwas nachentwickelt hätten, nein, das Bild von Friederike lag im Fundus und hat uns immer wieder bewegt.
Friederike hat das Bild Anfang Februar 2022 am frühen Abend auf dem Münchner Marienplatz aufgenommen. Es zeigt die südwestliche Fassade des Neuen Rathauses.
Über viele Wochen habe ich das Bild wieder und wieder betrachtet. Es hat mich jedes Mal fasziniert welche Mystik in dem Zusammenspiel zwischen gebauter Stadtlandschaft und dem Himmelskörper Mond liegt, die hier eingefangen wurde.
Die Fassade des Neuen Rathauses wurde in Anlehnung an das Rathaus in Brüssel im neugotischen Stil gestaltet. Dem Baujahr und dem Zeitgeist folgend sind alle möglichen bayerischen Könige, Herzöge und Fürsten in den Fassadenflächen eingearbeitet.
Im Bild ist der angeschnittene Rathausbalkon im linken unteren Drittel platziert und in eine direkte Spannungslinie mit dem Erdtrabanten gesetzt worden. Wir können im Bild noch drei der vier allegorischen Statuen erkennen. Links beginnend mit dem >Gewerbefleiß<, dann nach rechts folgend mit der >Häuslichkeit< und halb abgeschnitten am unteren Bildrand der >Bürgermut<. Die vierte Statue, die >Wohltätigkeit< konnte aus Gründen der Bildgestaltung nicht dargestellt werden.
Links von der Bildmitte, oberhalb der diagonal verlaufenden Zinne an der Traufe, liegt mit mondbeschienener Balustrade der helle Giebel im magischen Licht.
Durch die Unschärfe der Freihandaufnahme entsteht eine Stimmung, die harte Konturen aufweicht, Zweifel an dem Gesehenen impliziert und dahinterliegende Mysterien wahrscheinlich werden lässt.
Gleichzeitig werden Vergangenheit und Gegenwart gleichwertig links und rechts im Bild verteilt. Das historische Gebäude und die aktuelle Stunde.
Eine sehr gelungene Aufnahme, die man immer mal wieder gern für meditative Gedanken über Kommen und Gehen anschauen kann. Vielleicht werden aufgrund der innewohnenden Mystik einige schwerverständliche politische Entscheidungen besser verständlich, wenn man die Umgebung kennt, in der sie getroffen wurden.
Wir vergeben 📷📷📷📷📷📷📷 + ein Danke für die außergewöhnliche Aufnahme an Friederike.
TRANSLATION
[picture - Pale moon in Munich]
There are pictures that are like good wine. They get better with a little ageing. Not that we have developed something new here, no, the picture of Friederike was in the fundus and moved us again and again.
Friederike took the picture at the beginning of February 2022 in the early evening on Munich's Marienplatz. It shows the south-western façade of the New Town Hall.
Over many weeks I looked at the picture again and again. Each time I was fascinated by the mysticism that lies in the interplay between the built cityscape and the celestial body of the moon that was captured here.
The façade of the New Town Hall was designed in the neo-Gothic style, following the example of the Town Hall in Brussels. In keeping with the year of construction and the spirit of the times, all manner of Bavarian kings, dukes and princes are incorporated into the façade surfaces.
In the picture, the cut city hall balcony has been placed in the lower left third and placed in a direct line of tension with the earth's satellite. We can still make out three of the four allegorical statues in the picture. Starting on the left with the >Trade Diligence<, then following to the right with the >Domesticity< and half cut off at the lower edge of the picture the >Civic Courage<. The fourth statue, >Welfare<, could not be depicted for reasons of image design.
To the left of the centre of the picture, above the diagonally running battlement at the eaves, lies the bright gable with moonlit balustrade in the magical light.
The blurriness of the freehand shot creates a mood that softens hard contours, implies doubt about what is seen and makes mysteries behind it probable.
At the same time, past and present are distributed equally to the left and right of the picture. The historical building and the present hour.
A very successful shot that one can look at again and again with pleasure for meditative thoughts about coming and going. Perhaps because of the inherent mysticism, some political decisions that are difficult to understand become more comprehensible when one knows the environment in which they were made.
We award 📷📷📷📷📷📷📷 + a thank you for the exceptional reception to Friederike.
Die Lyrik zum Schluss
Die himmlische Rechenkunst - von Werner Bergengruen
Was dem Herzen sich verwehrte,
laß es schwinden unbewegt.
Allenthalben das Entbehrte
wird Dir mystisch zugelegt.
Liebt doch Gott die leeren Hände,
Und der Mangel wird Gewinn.
Immerdar enthüllt das Ende
sich als strahlender Beginn.
Jeder Schmerz entlässt dich reicher.
Preise die geweihte Not.
Und aus nie geleertem Speicher
nährt dich das geheime Brot.