#14 - Kassandra
02.07.2021 - Kassandra
Als mir Konny dieses Bild für unsere Bildbetrachtungen geschickt hatte, habe ich sofort Kassandra assoziiert.
Eben genau die Kassandra aus der griechischen Mythologie mit der von Apollon verliehenen Gabe der Weissagung.
Schauen wir uns die Symbolik in diesem Bild der Reihe nach an. Wir können dabei das Bild mit seiner Symbolik von oben nach unten lesen.
In der oberen Bildhälfte sehen wir eine schwarze Brillenfassung mit schwarzgetönten und spiegelnden Gläsern. Die Fassung ist eine stilisierte Zwickelbrille. Dies leitet uns gedanklich abgeleitet zu dem englischen Ausdruck >goggles< und weiter auf >google<, der "allwissenden" Suchmaschine. Und damit sind wir über die Ableitung der Bildobjekte bei Kassandra und ihren seherischen Fähigkeiten angekommen.
Die Brillengläser der jungen Frau spiegeln eine bebauten Umgebung wieder. In der Spiegelung erkennen wir zackige Bauwerke, Geäst und ein Grabkreuz in der Ferne. Wir sehen die Spiegelung. Aber was kann Kassandra über die >google goggles< noch sehen? Welche Vorhersagen kann Kassandra im Jahr 2021 damit treffen?
Das Gesicht der Frau ist in einen gelb-grünen Glanz getaucht und nimmt eine ganz zentrale Position bei der Inszenierung des Bildes ein. Der Glanz des Gesichts wird durch die rotgeschminkten Lippen kontrastiert. Gelb-Rot oder Gelb und Rot als Warnung und Verbot sind hier symbolisch erkennbar. Diese Hinweise werden in einen direkten Bezug zur "Vorhersehung" gesetzt, hin zu den seherischen Fähigkeiten und den Erkenntnissen durch die Brille.
Mit der Lichtführung im Bild, gleitet die Gegenwart von links aus dem Hellen kommend, das Gesicht von Kassandra streifend, nach rechts ins Dunkle der Zukunft.
Konny hat dieses Bild: "Alles so schön bunt hier" genannt. Wir finden, das Bild ist eine gelungene Portraitaufnahme von Kassandra 2021 geworden.
Danke an Konny für die farbenfrohe Aufnahme 📷📷📷📷, siebenfünf
Friedrich Schiller
Kassandra
Freude war in Trojas Hallen,
Eh die hohe Feste fiel;
Jubelhymnen hört man schallen
In der Saiten goldnes Spiel;
Alle Hände ruhen müde
Von dem tränenvollen Streit,
Weil der herrliche Pelide
Priams schöne Tochter freit.
Und geschmückt mit Lorberreisern,
Festlich wallet Schar auf Schar
Nach der Götter heil'gen Häusern,
Zu des Thymbriers Altar.
Dumpf erbrausend durch die Gassen
Wälzt sich die bacchant'sche Lust,
Und in ihrem Schmerz verlassen
War nur eine traur'ge Brust.
Freudlos in der Freude Fülle,
Ungesellig und allein,
Wandelte Kassandra stille
In Apollos Lorbeerhain.
In des Waldes tiefste Gründe
Flüchtete die Seherin,
Und sie warf die Priesterbinde
Zu der Erde zürnend hin:
»Alles ist der Freude offen,
Alle Herzen sind beglückt,
Und die alten Eltern hoffen,
Und die Schwester steht geschmückt.
Ich allein muß einsam trauern,
Denn mich flieht der süße Wahn,
Und geflügelt diesen Mauern
Seh' ich das Verderben an.
»Eine Fackel seh' ich glühen,
Aber nicht in Hymens Hand;
Nach den Wolken seh' ich ziehen,
Aber nicht wie Opferbrand.
Feste seh' ich froh bereiten,
Doch im ahnungsvollen Geist
Hör' ich schon des Gottes Schreiten,
Der sie jammervoll zerreißt.
»Und sie schelten meine Klagen,
Und sie höhnen meinen Schmerz.
Einsam in die Wüste tragen
Muss ich mein gequältes Herz,
Von den Glücklichen gemieden
Und den Fröhlichen ein Spott!
Schweres hast du mir beschieden,
Pythischer, du arger Gott!
»Dein Orakel zu verkünden,
Warum warfest du mich hin
In die Stadt der ewig Blinden
Mit dem aufgeschlossnen Sinn?
Warum gabst du mir zu sehen,
Was ich doch nicht wenden kann?
Das Verhängte muss geschehen,
Das Gefürchtete muss nahn.
»Frommt's, den Schleier aufzuheben,
Wo das nahe Schrecknis droht?
Nur der Irrtum ist das Leben,
Und das Wissen ist der Tod.
Nimm, o nimm die traur'ge Klarheit,
Mir vom Aug den blut'gen Schein!
Schrecklich ist es, deiner Wahrheit
Sterbliches Gefäß zu sein.
»Meine Blindheit gib mir wieder
Und den fröhlich dunklen Sinn!
Nimmer sang ich freud'ge Lieder,
Seit ich deine Stimme bin.
Zukunft hast du mir gegeben,
Doch du nahmst den Augenblick,
Nahmst der Stunde fröhlich Leben -
Nimm dein falsch Geschenk zurück!
»Nimmer mit dem Schmuck der Bräute,
Kränzt' ich mir das duft'ge Haar,
Seit ich deinem Dienst mich weihte
An dem traurigen Altar.
Meine Jugend war nur Weinen,
Und ich kannte nur den Schmerz,
Jede herbe Not der Meinen
Schlug an mein empfindend Herz.
»Fröhlich seh' ich die Gespielen,
Alles um mich lebt und liebt
In der Jugend Lustgefühlen,
Mir nur ist das Herz getrübt.
Mir erscheint der Lenz vergebens,
Der die Erde festlich schmückt;
Wer erfreute sich des Lebens,
Der in seine Tiefen blickt!
»Selig preis' ich Polyxenen
In des Herzens trunknem Wahn,
Denn den Besten der Hellenen
Hofft sie bräutlich zu umfahn.
Stolz ist ihre Brust gehoben,
Ihre Wonne fasst sie kaum,
Nicht euch, Himmlische dort oben,
Neidet sie in ihrem Traum.
»Und auch ich hab' ihn gesehen,
Den das Herz verlangend wählt!
Seine schönen Blicke flehen,
Von der Liebe Gluth beseelt.
Gerne möcht' ich mit dem Gatten
In die heim'sche Wohnung ziehn;
Doch es tritt ein styg'scher Schatten
Nächtlich zwischen mich und ihn.
»Ihre bleichen Larven alle
Sendet mir Proserpina;
Wo ich wandre, wo ich walle,
Stehen mir die Geister da.
In der Jugend frohe Spiele
Drängen sie sich grausend ein,
Ein entsetzliches Gewühle!
Nimmer kann ich fröhlich sein.
»Und den Mordstahl seh' ich blinken
Und das Mörderauge glühn;
Nicht zur Rechten, nicht zur Linken
Kann ich vor dem Schrecknis fliehn;
Nicht die Blicke darf ich wenden,
Wissend, schauend, unverwandt
Muss ich mein Geschick vollenden
Fallend in dem fremden Land« -
Und noch hallen ihre Worte -
Horch! da dringt verworrner Ton
Fernher aus des Tempels Pforte,
Todt lag Thetis' großer Sohn!
Eris schüttelt ihre Schlangen,
Alle Götter fliehn davon,
Und des Donners Wolken hangen
Schwer herab auf Ilion.
