All-In-One #51 - 22.07.2024

dieses Bild stammt diesmal aus einer mittelgroßen Stadt.

als ein sehr schönes Beispiel für das Kräftespiel des freien Marktes ist mir dieses Schaufensterbild an einer touristischen Flaniermeile eingefallen.
Wer jemals als Tourist in einer Stadt unterwegs war weiß, dass außer Speis und Trank nur noch Toiletten und andere Kleinigkeiten des täglichen Bedarfs eine wichtige Rolle für ein schönes Reiseerlebnis spielen.

hier hat der Inhaber oder die Inhaberin die Zeichen der Zeit und die Gesetzmäßigkeiten des freien Marktes klar erkannt und sein Angebot den Bedürfnissen der Kunden entsprechend gestrickt und erweitert.
Wem von uns fehlte nicht schon mal eine dem Wetter angepasste Jacke oder spürte, dass das Mieder nach der letzten Feier doch etwas zu stramm saß? Oder die Hose war mit Spuren von Senf und Soße verunstaltet worden und bedurfte einer sofortigen Erneuerung, auch weil kein passender Ersatz im Koffer war. Natürlich mit passendem Gürtel aus Schweins- oder Rindsleder. Auch die Akkus für Wecker und Uhren sind Verbrauchsgegenstände, die in der Fremde plötzlich wichtig werden können. Nicht zu reden von Energiespeichern für Kameras und alle anderen unentbehrlichen elektrischen Utensilien wie Milchschäumer, Zahnbürsten und Nagelfeilen.
Als kleinen Köderhaken hat der schlaue Ladenbetreibende noch die Reizworte "Bratwurst" und "Döner" strategisch geschickt links und rechts vom Mützenangebot platziert. Ganz wundervoll in der Dekoration - mit einer leicht ausgeblichenen Topfserie für alle Herdgrößen und -arten hinterlegt. So bekommt der Retro-Look des 50er-Jahre Schaufensters die passende Untermalung und Stimmigkeit, die niemanden abschreckt, ja, sogar eher neugierig in den Laden zieht. Wundervoll, dass es die guten Läden noch gibt.

Als Mensch man oft so ganz verzückt,
so, in so manches Fenster blickt.

Vorstadtstraßen - Erich Kästner (1899 - 1974)

Mit solchen Straßen bin ich gut bekannt.
Sie fangen an, als wären sie zu Ende.
Trinkt Magermilch! steht groß an einer Wand,
als ob sich das hier nicht von selbst verstände.

Es riecht nach Fisch, Kartoffeln und Benzin.
In diesen Straßen dürfte niemand wohnen.
Ein Fenster schielt durch schräge Jalousien.
Und welke Blumen blühn auf den Balkonen.

Die Häuser bilden Tag und Nacht Spalier
und haben keine weitern Interessen.
Seit hundert Jahren warten sie nun hier.
Auf wen sie warten, haben sie vergessen.

Die Nacht fällt wie ein großes altes Tuch,
von Licht durchlöchert, auf die grauen Mauern.
Ein paar Laternen gehen zu Besuch,
und vor den Kellern sieht man Katzen kauern.

Die Häuser sind so traurig und so krank,
weil sie die Armut auf den Straßen trafen.
Aus einem Hof dringt ganz von ferne Zank.
Dann decken sich die Fenster zu und schlafen.

So sieht die Welt in tausend Städten aus!
Und keiner weiß, wohin die Straßen zielen.
An jeder zweiten Ecke steht ein Haus,
in dem sie Skat und Pianola spielen.

Ein Mann mit Sorgen geigt aus dritter Hand.
Ein Tisch fällt um. Die Wirtin holt den Besen.
Trinkt Magermilch! steht groß an einer Wand.
Doch in der Nacht kann das ja niemand lesen.

(C) 2024 Bild und Text by Werner