Zeitpunkt #48 - 05.07.2024
es ist uns sehr oft gar nicht so recht im Bewusstsein, wie viel Glück man im Leben hat, ohne das man auch nur einen Hauch davon zu spüren bekommt.
Das folgende Bild entstand während unserer jüngsten Hamburg-Tour.
Spoiler: Da kommen sicher noch ein paar andere Bilder in den Blog.
Aber dieses Bild ist schon irgendwie speziell.
fotografisch ist das Bild eigentlich nix Besonderes. Man sieht Menschen in einer Schlange vor einem Gebäude mit neoklassizistischer Fassade stehen.
Aber - das Bild ist nur das Symbol für die Geschichte, die sich am 02.07.2024 ereignet hat und die sich hinter diesem Bild verbirgt - und die Geschichte ist mehrschichtig.
vielleicht beginnen wir so:
Am Dienstag, den 02.07.2024 wollten wir uns in der Ausstellung
"Henri Cartier-Bresson zählt zu den berühmtesten Fotograf:innen des 20. Jahrhunderts. Als Fotojournalist, Kunstfotograf und Porträtist schuf er zeitlose Kompositionen und prägte damit den Stil nachfolgender Generationen von Fotograf:innen. Mit seinem Gespür für den „entscheidenden Augenblick“ erfasste er spontane Begegnungen und Situationen. Seine Arbeiten, heute Ikonen, machten ihn zu einem wichtigen Vertreter der Street Photography.
Das Bucerius Kunst Forum widmet dem Mitbegründer der legendären Fotoagentur Magnum die erste große Retrospektive in Deutschland seit 20 Jahren. Neben den frühen, surrealistisch geprägten Aufnahmen und Filmarbeiten sowie den politischen Fotoreportagen werden auch Cartier-Bressons Porträts bekannter Künstler:innen und Schriftsteller:innen gezeigt, ebenso wie seine späteren Fotografien, in denen der Fokus auf dem menschlichen Alltagsverhalten liegt.
Die Ausstellung beleuchtet anhand von 240 Originalabzügen sowie zahlreichen Veröffentlichungen in Illustrierten und Büchern das Lebenswerk des Fotografen von den 1930er- bis in die 1970er-Jahre." [Textquelle: Homepage des Kunstforums; Auszug; Hervorhebung von mir]
die Ausstellung ist tags von 11:00 bis 19:00h, donnerstags bis 21:00h geöffnet.
Am 02.07. fuhren wir mit der U-Bahn zur Ausstellung und wollten erst an der Station >RATHAUS< aussteigen. Aus irgendeinem Grund, wahrscheinlich weil wir etwas zu früh dran waren, entschieden wir jedoch an der Station >RÖDINGSMARKT< die U-Bahn zu verlassen und die paar Schritte zum Alten Wall zu laufen. Unsere Ankunftszeit war 11:03h an der U-Bahnstation. Das Foto oben entstand um 11:09h.
In etwa 250m Entfernung, an der Ecke Ballindamm-Jungfernstieg, in direkter Linie vom Eingang des Kunst-Forums, hatte sich zuvor zu diesem Zeitpunkt ein sehr schwerer Verkehrsunfall ereignet, von dem wir nicht bemerkten oder wahrnehmen konnten.
Hier der Polizeibericht:
"Unfallzeit: 02.07.2024, 10:15 Uhr; Unfallort: Hamburg-Altstadt, Jungfernstieg/ Ballindamm
Am Dienstagvormittag kam es im Bereich des Jungfernstieges zu einem Verkehrsunfall, bei dem mehrere Personen verletzt wurden. Ein Verkehrsunfall-Team leitete die ersten Ermittlungen ein.
Nach den derzeitigen Erkenntnissen fuhr der Fahrer eines Mercedes aus Richtung Ballindamm kommend aus noch ungeklärter Ursache geradeaus bis auf den Gehweg des Jungfernstieges/ Reesendamm. Im weiteren Verlauf kollidierte der Pkw mit der Außenbestuhlung eines Restaurants und auch einem dort parkenden VW Transporter. Der Mercedes durchschlug mit der Fahrzeugfront die Eingangstüren einer Bankfiliale und kam so zum Stehen.
Durch die Wucht des Aufpralls mit dem parkenden Transporter bewegte sich dieser nach vorn und erfasste einen Fußgänger, der dadurch lebensgefährlich verletzt wurde. Unter Reanimationsmaßnahmen einer hinzugezogenen Rettungswagenbesatzung und eines Notarztes wurde der Mann in ein Krankenhaus transportiert." [Zitatende]
Am Donnerstag, 04.07.2024 fuhren wir wiederum mit der U-Bahn in Richtung Innenstadt, als die U-Bahn unerwartet um 11:00h stehen blieb. Hier der erläuternde Text dazu von der NDR-Seite:
Unfall am Jungfernstieg: Schweigeminute für Hochbahn-Mitarbeiter
Der 39-Jährige, der am Dienstag bei einem schweren Unfall am Jungfernstieg ums Leben gekommen ist, war ein Mitarbeiter der Hamburger Hochbahn. Am Donnerstag gab es eine Schweigeminute für ihn.
Um 11 Uhr blieben alle Busse und U-Bahnen, die sich zu diesem Zeitpunkt an einer Haltestelle befanden, für eine Minute stehen. Die Fahrgäste wurden zuvor mit Durchsagen darüber informiert.
Hochbahn trauert um Mitarbeiter
Am Dienstagvormittag war ein 18-Jähriger mit einem Mercedes über einen Gehweg am Jungfernstieg gerast und hatte einen Transporter vor einer Filiale der Hamburger Sparkasse (Haspa) gerammt. Durch die Wucht des Aufpralls bewegte sich der Transporter nach vorn und erfasste einen Passanten. Der Mann war 39 Jahre alt, Vater und von Beruf U-Bahnfahrer. "Es ist unfassbar tragisch, wie ein Mensch so plötzlich aus dem Leben und unserer Mitte gerissen wurde", erklärte Hochbahn-Personalvorständin Saskia Heidenberger in einer Mitteilung.
Mehrere Verletzte
Ein weiterer Mann im Alter von 23 Jahren wurde bei dem Unfall schwer und ein 29-Jähriger leicht verletzt. Eine Augenzeugin erlitt einen Schock und wurde in ein Krankenhaus gebracht. Die beiden Männer im Unfallwagen - einem Auto mit mehr als 600 PS - wurden leicht verletzt. Das Kriseninterventionsteam des Deutschen Roten Kreuzes betreute mehrere unter Schock stehende Augenzeuginnen und -zeugen.
Unfallursache noch unklar
Nach Angaben der Polizei fuhr der Fahrer des Wagens aus noch ungeklärter Ursache auf den Gehweg. Er überfuhr mit dem Auto erst mehrere Stühle auf der Außenterrasse eines Restaurants, prallte dann vor der Sparkasse gegen den parkenden Transporter und kam mit zertrümmerter Front im Eingangsbereich der Haspa-Filiale zum Stehen.
Ermittlungen gegen 18-jährigen Fahrer
Die Polizei ermittelt gegen den 18 Jahre alten Fahrer des Unfallwagens. Ob auch dem 52 Jahre alten Beifahrer ein Vorwurf zu machen ist, werde noch geprüft, teilte die Polizei mit. Medienberichten zufolge handelt es sich bei den Insassen um Vater und Sohn. Was genau die Ermittler dem Fahrer vorwerfen, ist noch unklar. Auch zur Geschwindigkeit des Unfallwagens äußerte sich die Polizei nicht. An der Kreuzung Ballindamm/Jungfernstieg gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde. Der Jungfernstieg ist seit Oktober 2020 für den privaten Autoverkehr gesperrt. Zurzeit wird die Straße umgebaut und darf nicht befahren werden. Der Wagen war nach Angaben der Polizei vom Ballindamm gekommen." [Zitatende]
So zufällig wie der Zeitpunkt der Bresson-Ausstellung, so zufällig wie die Wahl des U-Bahn Ausstiegs und so zufällig der Zeitpunkt für den Ausstellungsbesuch von uns gewählt wurde, so zufällig passierte dieser tragische Unfall in unmittelbarer Nähe. Und ohne dass wir ihn im Augenblick des Geschehens - die Helfer waren noch tätig - von dem tragischen Geschick anderer eine Wahrnehmung hatten.
Cartier-Bresson hat für seine Arbeiten dazu den Begriff des "entscheidenden Augenblicks" gewählt.
Die Summe der Ereignisse und die Gleichzeitigkeit des Zeitpunkts bringt einen schon auf den Gedanken, dass Zufälligkeiten die bestimmenden Elemente des Lebens sind.
Das Leben ist - am Stück betrachtet,
von reichlich Zufall und von Glück befrachtet.
Es sitzt ein Vogel - Wilhelm Busch (1832 - 1908)
Es sitzt ein Vogel auf dem Leim,
Er flattert sehr und kann nicht heim.
Ein schwarzer Kater schleicht herzu,
Die Krallen scharf, die Augen gluh.
Am Baum hinauf und immer höher
Kommt er dem armen Vogel näher.
Der Vogel denkt: Weil das so ist
Und weil mich doch der Kater frisst,
So will ich keine Zeit verlieren,
Will noch ein wenig quinquilieren
Und lustig pfeifen wie zuvor.
Der Vogel, scheint mir, hat Humor.
(C) 2024 Bild und Text by Werner