BildGeschichten #1 - Frankfurt Hbf
Angefangen hat die Geschichte mit den leeren Gleis hier.
Beruflich musste ich mal wieder von Frankfurt am Main nach Dachau. Planmäßige Abfahrt war eigentlich 18:54h. Und - was soll ich sagen, am Gleis angekommen erwartete die Reisenden die freundliche Ansage, dass der ICE planmäßige Verspätung hat.
Dank Corona und den allgemeinen Reisebeschränkungen war eine Fahrplatzreservierung nicht nötig gewesen und so hatte der Bahnhof etwas direkt Unheimliches. So groß und so leer. Die Bahnsteige, die ich immer als zu schmal empfunden hatte, waren jetzt breit wie die A9 zwischen Nürnberg und München.
Hin und wieder ein wenig Mensch mit kleinem Gepäck. Sonst sogar so still, dass man die Lautsprecherdurchsagen tatsächlich gut hören und verstehen konnte.
Also wieder Verspätung. Nach dem checken der Nachrichten, nach dem Zählen des Gleisschotters zwischen den Schwellen und dem Hochrechnen auf die Gesamtfahrstrecke stellte sich etwas Langeweile ein. Meine Reiselektüre hatte ich schon auf der Hinreise verbraucht. Auch das Streicheltelefon gab nicht viel Neues her. Für ein Sodoku war der Geist einfach nicht mehr zu begeistern. Immerhin stellte sich unter der Atemschutzmaske, eine von diesen OP-Dingern, ein etwas trockenes Mundgefühl ein, was mich an meinen Mundvorrat im Koffer denken ließ. Dort hatte ich mir - Erfahrung macht klug - eine kleine Dose meines bevorzugten Flüssigbrotes bereit gelegt.
Die Verspätung und die Uhrzeit waren geeignet, den Inhalt der Dose dem planmäßigen Weg zu zuführen und den vergorenen Saft in meinem Magen zu verstauen. Ich hätte die Dose lieber Dose sein lassen. Mit dem Ziehen des Verschlussrings kam die Geschichte ins Rollen.
Nach dem die Dose leer und der Zug immer noch nicht da war, kam ich auf den netten Gedanken meinen Durstlöscher zu porträtieren. Auf der Wartebank platziert, ins rechte Licht gerückt und ausgerichtet konnte ich den Auslöser meiner superflachen Reisekamera betätigen. Aber dies hätte ich nicht tun sollen, denn für die gesamte Aktion hatte ich vorher meinen Koffer neben die Bank gestellt und ebenfalls wunderschön porträtiert.
Man sieht ein wunderschön glänzendes Foto meines kleinen, feinen Köfferchens. Flotte Rollen an den Füßen, die herrlich klackernd über Fugen und Pflaster klappern können und ein griffiger Griff machen es zum sympathischen Begleiter.
Gut, dass ich dieses Bild hatte!
Nach dem ich das leere Döschen fotografiert hatte, griff ich rückwärts zu meinem Köfferchen und zack! ins Leere. Der Koffer war weg! Einfach weg. Nix Koffer. Und niemand so richtig zu sehen! Auch die Dose war so leer und gab nicht mehr den kleinsten Tropfen Trost her.
Nach einer gefühlten Ewigkeit des Schreckens setzte ich mich also in Richtung Bahnhofspolizei in Bewegung. Der Zug war eh´ futsch, wenn er jemals kommen würde. Was sollte ich auch ohne Koffer im Zug?
Die Mannschaft auf der Wache war sehr nett und verständnisvoll und bot mir erstmal einen Sitzplatz und eine Tasse Kaffee an. Nur Sitzen und Kaffee trinken wollte ich im Moment am aller wenigsten. Meinen Koffer wollte ich haben. Naja, vielleicht war es ja wirklich der Alkohol, der mich ein bisschen hat hochgehen und laut werden lassen. Jedenfalls hat mich eine Beamtin ziemlich angefurzt, was mir denn so in den Sinn käme hier gleich den Larry zu machen. Ruhig, ruhig bleiben und überlegen.
Nach der Beschreibung des Hergangs hatte der nette sympathische Polizeioberhauptmann (hatte ich den eigentlich schon erwähnt?) die goldene Idee vielleicht mal kurz bei der Fundstelle des Bahnhofs anzuklopfen, ob den dort ein heimatloser Koffer dieses Aussehens (Foto!) hereingefunden hätte.
Wir also zu Dritt, der Nette, die Raunzerin und ich zur Fundstelle gelaufen, die Gott-sei-Dank wegen Inventur oder Regenschirmaufnahme noch geöffnet hatte.
Und drinnen: Sammy. Irgendwie passend. Sammy also, mit einem freundlichen Lachen und wachen Augen.
Nein, diesen Koffer haben wir hier nicht. Worte können zerstören.
Aber ich habe da eine Idee. Worte können Hoffnung wecken.
An welchem Gleis haben Sie gewartet? Es war Gleis 9.
Nun, wir also zu Viert zurück zu Gleis 9. Sammy, der Nette, die Raunzerin und ich. Eine kleine Bahnhofsprozession. Alle mit Maske und Abstand. Muss lustig ausgesehen haben. Am Gleis angekommen habe ich die Geschichte bis zum Schreck und Koffer weg nochmal erzählt. Jetzt ging es schon richtig flüssig und ohne lange nach zu denken. Und siehe, nach dem ich geendigt hatte, dreht sich Sammy um, klettert über die Gleiskante auf das Schotterbett und zieht wie der große Zauberer Houdini mein kleines, feines Köfferchen unterm Bahnsteig hervor. What´s that?
Lachend folgte auf die Überraschung die Erklärung von Sammy:
Der Bahnsteig hat ein gaaanz leichtes Gefälle zum Gleis hin uuund manchmal passiert es, dass kleine, feine Köfferchen auf ihren Röllchen einfach so leise, ganz leise davon rollen und über die Kante unter den Bahnsteig purzeln. Je nachdem, bleiben sie dann liegen oder werden noch gerade entdeckt. Die Lautsprecherdurchsagen im richtigen Moment lassen den Trick perfekt werden.
Ich habe dann gerade noch Zeit gefunden mich bei Sammy zu bedanken und noch fix ein Erinnerungsfoto gemacht und dann fix in den einlaufenden ICE gesprungen und nach Bayern gefahren. So ausgedacht im Mai 2021.
Info für den geneigten Leser:
Die Story ist reine Fiktion. Eine Ähnlichkeit mit wahren Begebenheiten und/oder Personen wäre wirklich rein zufällig.
Ein kleiner, wichtiger Hinweis:
Für alle Bilder und Texte der Story, soweit nicht anders gekennzeichnet, gilt das Urheberrecht. Die Bilder wurden von unserer Auslandskorrespondentin Friederike zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!