Die Story von Paule, dem Treckermörder

Die Vorgeschichte
Es ist jetzt, ...

Es ist jetzt, glaube ich, an der Zeit, dass ich euch die Geschichte von Paule, dem Treckermörder erzähle. Einem beinharten Typ, der euch hier in meinen Berichten schon das ein oder andere Mal untergekommen ist.

Wie kann man sich Paule vorstellen? Nun, am einfachsten lässt sich Paule als die menschliche Inkarnation aller Klischees, die es über und von Bauern gibt, vorstellen. Angefangen vom Habitus eines Pyknikers, besitzt er dem ersten Anschein nach das Temperament eines Phlegmatikers. Allerdings kann er situationsbedingt in Feuer geraten und als Choleriker oder nach Abklingen der Symptome als Melancholiker auftreten. Was bei ihm fehlt, sind die Eigenschaften eines Sanguinikers.
Man sieht, dass Paule im Handling nicht ganz einfach ist und eine gewisse Übung im Umgang mit seinen Temperamentsprüngen erforderlich ist. Allerdings ist er sehr treuherzig, absolut verlässlich und ehrlich. Nein heißt Nein und Ja heißt Ja bei Paule. Und noch etwas, er ist keinesfalls nachtragend. 
Was er nicht beherrscht ist die Auswahl geeigneter Kleidung. So kann es schon mal passieren, dass er direkt aus dem Stall oder der Werkstatt in Gummistiefeln zum Friedhof zu einer Beerdigung marschiert, nach dem er die Cordweste gegen die schwarze Jacke über dem kariertem Hemd getauscht hat. Diese Friedhofjacke ist nur für diesen Einsatzzweck und hat über die Jahre einige blanke Stellen durch Fleckbürsten erhalten. In dieser Kombination ähnelt sein Aufzug eher einem Karnevalsanzug.

Den Paule kenne ich seit der Schulzeit. Wir sind eine Zeitlang in dieselbe Klasse gegangen. Die Zeitläufte hatten uns dann für ein paar Jahre getrennt und vor einigen Jahren wieder zusammengeführt. Jetzt wohnen und leben wir quasi Tür an Tür.

Nach der Schule wollte Paule eigentlich studieren. Aber durch familiäre Umstände musste er den Hof übernehmen und für den Unterhalt der Familie sorgen. Zu diesem Zeitpunkt fing die Geschichte an, die zu seinem Spitznamen geführt hat. Und das ging so:

Wir müssten jetzt eigentlich etwas weitschweifig bei Paules Vater bzw. eigentlich schon bei dessen Vater beginnen. Aber diese letztere Geschichte erzählen wir ein anderes Mal. 

Damals, das war etwa Mitte der wilden 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, die Hippie-Bewegung war noch in vollem Gange, meinte Pauls Vater etwas Neues beginnen zu müssen. Mit seiner neuen Frau Gundi machte er sich auf den Weg in die Welt.
Paul, seine Mutter und seine Geschwister saßen jetzt auf einem Hof, der auf einem Berg Schulden stand. Zu diesem Zeitpunkt lief der Lebensstandard im ländlichen Raum dem der Städte noch etwas hinterher. In den Städten liefen die Ortsentwässerungen schon seit Kaisers Zeiten. Auf dem Land wurden damals erst die Misthaufen, Herzhäuschen und andere Behelfseinrichtungen für die menschliche Notdurft durch eine Ortskanalisation abgelöst. Die Klärgruben hatten ausgedient. Maschinell wurde aufgerüstet. 

Als Paule den Hof und die Landwirtschaft übernahm, passierten ihm ständig die tollsten Sachen. Sein Vater hatte, dem Rat der Bauern folgend, einen McCormick 353

Der Mäc
Paules Mäc

recht preisgünstig für seine kleineren Äcker und die Wiesen im Hinterdorf gekauft. Dieser Trecker hatte und hat eine eigene Seele. Stur wie ein Maulesel, hippelig wie ein Hengst, so lassen sich die Macken dieser Maschine knapp beschreiben. Wenn, der richtige Fahrer auf der Maschine saß, und das Ding spürt genau wer in der Sitzschüssel hockt, das Wetter und der Boden unter den Rädern die richtige Feuchte besitzt, der verabreichte Dieselkraftstoff nicht zu alt ist und die angehängte Last nicht zu schwer, dann war und ist der Motor nicht zu stoppen. Ohne Murren läuft der Diesel mit klappernden Ventilen, nimmt willig Gas und powert mit Elan durch die Furchen.

Paule hatte von all diesem keinen Schimmer, weil sein Vater ihm dies nicht mehr vermittelt hatte. Auch schriftlich fand sich nichts richtig Verwertbares zu Haus und Hof. Immerhin waren damals noch rund 160 Hektar Land zu bearbeiten und 80 Stück Vieh, vom Huhn bis zu den Kühen im Stall neben den Schweinen und den Pferden, zu versorgen. 

Der erste Mord
Der Mäc, ...

Der Mäc, wie Paule den 353 nannte, war ein sehr handliches Gerät und so nutzte ihn Paule so ziemlich für alles. Angefangen von den Mäharbeiten und der Heuernte bis zum Pflügen der Äcker und der Aussaat. Aber irgendwann jedoch, muss selbst ein Trecker mal unter die Dusche respektive zur Wartung.

Übersichtliche Anlagentechnik
Übersichtliche Anlagentechnik

Da aber das Geld knapp und ein Trecker für Paule von der Technik her sehr übersichtlich aussah, dachte er, das können wir selber machen.

Also wurden die Achsbolzen geschmiert, die Schrauben nachgezogen, der Zylinderkopfdeckel mit einer neuen Dichtung versehen und noch diverse andere Kleinigkeiten erledigt. Natürlich wurden auch die Ölfilter gereinigt und das Öl gewechselt. Nach dem Vorglühen startete der Mäc wie gewohnt und sprang lustig vom Hof auf den Acker. Alles lief glatt bis plötzlich ein infernalisches Knirschen mit einem folgenden Knall die Vorstellung beendete.

Das Getriebe hatte sich, infolge einer Unterversorgung mit Öl, vom Motor verabschiedet und die Kurbelwelle bei der Gelegenheit gleich mit erledigt. Cordon bleu - nichts ging mehr. Der Mäc lag stöhnend und dampfend auf dem Acker. Beim Selfservice hatte Paule vergessen die Ablassschraube am Getriebekasten wieder festzudrehen und die Befüllöffnung zu schließen. Dies war Paules erster Treckermord.

Nach dem er den Mäc aus Ersatzteilen wieder mit Hilfe der anderen Bauernkollegen zusammengebastelt hatte, fuhr Paule immer erst nach einem Ölcheck auf den Acker. So wurde die Schmierung der Maschine zu seiner ersten Manie.

Der Rennsitz des Mäc
Paules Rennsitz auf dem Mäc
Der Zweite Mord
Der zweite Treckermord ...

Der zweite Treckermord passierte Paule durch Verwechselung. In der Treckerscheune hatte Paule immer einen Vorrat an Diesel in 20L-Kanistern. Diese grasgrünen Blechtanks standen immer rechts vom Tor, griffbereit für den schnellen Einsatz an Trecker und Auto.

Die Krux entstand durch die Anschaffung eines Benzin verbrauchenden Kleinwagens eines japanischen Herstellers.

Die Reisschüssel
Die Reisschüssel

In der Treckerscheune fand die "Reisschüssel" neben dem Mäc hinreichend Platz und so wahr es nur logisch, dass Paule für die Reisschüssel, nach Bauernart, ebenfalls einen Treibstoffvorrat bereithielt. Allerdings waren die Benzinkanister für Reisschüssel mit einem roten Aufkleber versehen, um Verwechslungen auszuschließen.
Ob der zweite Treckermord aus Verwechslung oder Schusseligkeit entstand, lässt sich, auch nach mehreren Sitzungen und Klärungsgesprächen mit Paule, nicht mehr genau aufklären. Fakt ist, dass Paule statt Diesel dem Mäc eine satte Portion Benzin in den Tank gegossen hatte. Als wahrscheinlichste Ursache konnte ich aus Paules Rede destillieren, dass Elvira, Paules heimlicher Schwarm, während der Betankung am Hof vorbeikam und er durch eine plötzliche Hormonschwankung in der Sehkraft und/oder dem Geruchssinn eingeschränkt war. Jedenfalls verschwanden die 20 Liter Sprit im Dieseltank und Paule fuhr zum ackern.
Er hatte gerade ein kleines Tagwerk hinter sich, als der Mäc plötzlich hustete und der Motor mit einem hellen Knirschen ins Nirwana der Zylinderköpfe wechselte. Der zweite Mord war damit ein glatter Giftmord. Dieselmotoren mögen kein Benzin. Dieselmotoren können Benzin nur in ganz kleinen Mengen vertragen. Dies wusste Paule zwar, aber Elvira hatte beim ihm schon immer alle Schalter durcheinander gebracht.

Was daraus wurde
Dank der guten ...

Dank der guten Verbreitung des Mäc in der näheren Umgebung, war es Paule möglich, ziemlich schnell aus mehreren Treckermotorresten einen Neuen aus dem Altem zu basteln.
Seine Werkstatt wuchs im gleichen Maße wie er den Trecker und andere Landmaschinen mordete und die Maschinen anschließend wieder selbst reparierte. Innerhalb zweier Jahre hatte er sich so eine komplette Landmaschinenwerkstatt zusammengebaut. Einschließlich Hebebühne und Kranbahn. 

Nach circa drei Jahren konnte Paule alle seine Landmaschinen im Dunkeln mit verbundenen Augen zerlegen und zusammenbauen. Die zwei Treckermorde brachten ihm im Dorf seinen Spitznamen ein. Gleichzeitig aber wuchs auch die Anerkennung unter den Kollegen über seine Fertigkeiten, aus seinen Fehler zu lernen und sogar einige Verbesserungen wie bspw. die automatische Absenkbegrenzung mit hydraulischem Rotationswechsel des Heuwenders, bei den Reparaturen einzubauen.  

Mit den Jahren kam es auch, dass er neben innovativer Landtechnik auch andere Verbesserungen bei Aussaat und Ernte einführte, die zur Effizienzsteigerung bei den Erträgen führte und den Hof in der biologischen Landwirtschaft etablierte. Nach harten Jahren und schweren Schuldendiensten hatte Paule es geschafft den Hof auf gesunde Füße zustellen. 

Heute leitet er einen spezialisierten Lohnbetrieb und kann sich, neben dem Reparaturdienst, noch um seinen Tiger kümmern.

Ach ja, vielleicht erzähle ich euch demnächst mal die Story von Paules Vater oder die heiße Story mit Elvira, seiner hellen Flamme.