Curry & Kopfsteinpflaster
by wernerpublished on
es tut mir aufrichtig leid, dass in diesem Post schon wieder vom Essen die Rede sein wird. Aber es isst, wie es isst – nun mal eine der existenziellen Tätigkeiten in unserem Leben. Immerhin können wir froh sein, dass wir nicht, wie bspw. ein Pferd auf der Weide, stundenlang mit gebeugtem Hals ins Gras beißen müssen.
angelockt wurden wir auf unserem Gang durch die Lübecker Altstadt durch die bunte Fassade mit dem mediterranen Flair und dem Charme bundesdeutscher Fahrradkultur.
Wir stehen hier vor einem Restaurant, dass es nach eigener Aussage bereits seit 40 Jahren an dieser Stelle geben soll. Inwendig soll es viel Platz und eine fantastische Auswahl von Speisen - und besonders für den Freund des Scharfen, auch indische Gerichte geben. Wir bleiben im Konjunktiv, denn wir haben das Lokal nur von außen betrachtet, obwohl es Zeit für eine Nahrungsaufnahme war.
Gleichwohl, was mich an der Fassade fasziniert hat war diese wundervolle Kombination aus Formen und Farben. Bleiben wir zunächst bei den Farben, die sich von oben nach unten mit ihren Orangetönen in den RGB-Werten (232/198/166 - 255/196/132 - 224/125/72) wundervoll von leicht leicht nach schwer abstufen. Kontrastierend die Farbgebung der Fenster und Türen mit RGB-Werten von 1/150/216. Wer also sein Domizil farblich analog gestalten will, kann mit diesen Werten den Maler des Herzens mit der Mischung neuer Farben beauftragen.
Es sind dann die Details, welche das Gesamtbild der Eingangsfront interessant und spannend gestalten.
Links haben wir ein zwei Regenfallrohre welche sich in einen gemeinsamen Rinnenkessel vereinigen. Scheinbar gibt es in Lübeck als Stadt an der Trave und der Lübecker Bucht zur Ostsee, andere Regelungen hinsichtlich der Gebäudeentwässerung, die genehmigt werden kann. Das diese VAE (VereinigteAnlageEntwässerung) ihre Berechtigung hat erkennt man leicht an der AE (AnlageEntwässerung) rechts. Hier wird durch Grobmotoriker eine Querschnittsreduzierung erreicht, die bei der harten VAE nicht auftreten wird.
Die Schaufensterfront wird durch eine illustre Illuminationsinstallation im oberen Lichtband über die gesamte Hausbreite begleitet. Während die Schaufenster links einen klaren Einblick erlauben, sind die Fenster rechts mit appetitanregenden Bildern der Speisen dekoriert. Etwas verwirrend ist der Zutritt zum Lokal, aber das dürfte sich im Bedarfsfall schnell aufklären lassen.
Im Weiteren haben wir rechts eine sehr schöne, im Stil der 70er Jahre geformt und montierte Leuchtreklame an der Hauswand. Links dagegen findet sich ein eher prosaisches Plastikbanner mit den entsprechenden Informationen für die Essenbestellung zur Lieferung. Inwieweit der auf dem Banner angebrachte QR-Code, das ist das kleine Quadrat mit den vielen schwarzen Punkten, von Menschen mit normaler Körpergröße und ohne ein 4-fach Zoom am Handy gescannt werden kann, sei dahingestellt. Die Inhaber wollten wahrscheinlich eben jede Art der Kontaktaufnahme ermöglichen. Wenn auch nicht immer barrierefrei.
Was mir sehr gut gefallen hat, war die Anordnung der Stahlbügel im Pflaster der Straße. Neben den angebundenen Drahteseln wäre auch genug Platz für das mitgebrachte Reitpferd.
Nicht verstanden habe ich die Namensgebung der Lokalität. Hier schwanken wir zwischen TIPASA links und TIPASITA rechts. Es kann ja sein, dass man durch ein kleines Vorlokal TIPASITA in die Hallen des TIPASA gelangt.
Hier das Ganze in einer kleinen Story, die sich so oder so ähnlich übermorgen oder gestern ereignet hat:
Zwischen TIPASA und TIPASITA – Ein Lübeck-Moment
Sie standen still. Clara und Jonas, auf Städtetrip durch den Norden, blickten in die Farbenflut einer Fassade, die mehr versprach als ein Mittagessen. Orange wie aus einem südfranzösischen Sonnenuntergang, eingerahmt von tiefblauen Fenstern, die wie Augen eines Hauses in ihre Seelen schauten.
„Sieht aus wie Urlaub in der Toskana – bloß mit besserer Fahrradinfrastruktur“, sagte Clara, während Jonas schon die Regenrinnen analysierte.
„Schau mal da – VAE links, AE rechts. Wer auch immer das geplant hat, hatte Humor.“
Sie lachten. Das Restaurant vor ihnen – TIPASA? TIPASITA? – blieb geheimnisvoll. Die Fenster zeigten Currys, Chapatis und dampfende Schüsseln. Der Eingang, kaum zu erkennen, wirkte wie der Zugang zu einer anderen Dimension.
„Meinst du, man muss zuerst durch TIPASITA, um zu TIPASA zu gelangen?“ fragte Jonas.
„Oder es ist einfach ein Lübecker Test für echte Abenteurer,“ grinste Clara und zeigte auf den QR-Code, der von einem Plastikbanner herunterlachte – in unerreichbarer Höhe.
Ein älterer Herr auf einem Hollandrad stoppte neben ihnen, stieg ab und band sein Gefährt an einen der Stahlbügel. Er tätschelte liebevoll den Rahmen. „TIPASA gibt’s hier seit ’84. Früher war das mal ein Buchladen. Jetzt ist’s wie Indien auf norddeutsch.“
Clara warf Jonas einen Blick zu. „Indien klingt gut. Vielleicht ist das der Ort, den wir gesucht haben.“
Mit einem letzten Blick auf die Illuminationen, die über der Schaufensterfront wie glitzernde Wellen flimmerten, traten sie durch das Vorlokal TIPASITA – und fanden sich in TIPASA wieder. Das Licht war warm. Die Musik leise. Der Duft: ein Versprechen.
Und irgendwo zwischen RGB-Farben und Regenrinnen begann ihr Lübecker Abenteuer so richtig.
Wenn Menschen durch die Städte reisen,
sie hin und wieder irgendwo was speisen.
Nicht immer ist von außen klar,
was drinnen zu erwarten war.
Auch ist ein Restaurant was gut und teuer,
so manches Mal ein Abenteuer.
Alltag - Robert Gernhardt (1937 - 2006)
Ich erhebe mich.
Ich kratze mich.
Ich wasche mich.
Ich ziehe mich an.
Ich stärke mich.
Ich begebe mich zur Arbeit.
Ich informiere mich.
Ich wundere mich.
Ich ärgere mich.
Ich beschwere mich.
Ich rechtfertige mich.
Ich reiße mich am Riemen.
Ich entschuldige mich.
Ich beeile mich.
Ich verabschiede mich.
Ich setze mich in ein Lokal.
Ich sättige mich.
Ich betrinke mich.
Ich amüsiere mich etwas.
Ich mache mich auf den Heimweg.
Ich wasche mich.
Ich ziehe mich aus.
Ich fühle mich sehr müde.
Ich lege mich schnell hin.
Was soll aus mir mal werden,
wenn ich mal nicht mehr bin?
(C) 2025 Bilder und Text by Werner