Himmelschrift

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kurze Tage haben einen unvergleichlichen Vorteil: Wenn man morgens nicht aus den Federn kommt und lange beim Frühstück sitzenbleibt, dann kommt man auch trotzdem in den Genuss einer tiefstehenden Sonne, wenn die Uhrzeiger gen Mittag wandern. So geschehen.

Himmelschrift

Über den schlafenden Feldern zieht die morgendliche Sonne ihre Bahn, und mit ihr die weißen Linien der Flugzeuge, die längst weitergezogen sind. Die Menschen dort oben, in Eile von einem Ort zum anderen, während hier unten die Erde noch ruht. Die Äcker liegen dunkel und stumm da, gepflügt und bereit, wartend auf eine Zeit, die noch nicht gekommen ist.

In der Ferne, fast verschluckt vom Nebel, ragt der Kirchturm auf. Ein Zeichen, das bleibt, während alles andere sich bewegt. Wie viele Generationen haben auf diese Felder geschaut, haben denselben Himmel gesehen – ohne die weißen Streifen vielleicht, ohne das Dröhnen der Triebwerke, aber mit derselben Sonne, die aufgeht und untergeht, gleichgültig und treu zugleich?

Die Kondensstreifen kreuzen sich wie Schicksalswege am Himmel. Jede Linie eine Reise, ein Abschied, eine Ankunft. Menschen, die sich nicht kennen, deren Wege sich für einen Moment im Himmel berühren, um sich dann für immer zu verlieren. Es ist eine moderne Form von Vergänglichkeit – diese weißen Spuren lösen sich auf, noch während wir sie betrachten, werden zu Wolken, zu Nichts.

Die Häuser in der Ferne sind kaum zu erkennen, verschmolzen mit dem Dunst. Dort wacht vielleicht gerade jemand auf, setzt Kaffee auf, ahnt nicht, dass dieser Morgen von jemandem festgehalten wird. Das Leben dort geht seinen Gang, unheroisch und stetig, wie die Jahreszeiten über den Feldern.

Der Nebel liegt wie eine Decke über dem Land, hält noch fest, was bald dem Tag gehören wird. Es ist dieser Moment zwischen Nacht und Morgen, zwischen Stille und Bewegung, der etwas Heiliges hat. Die Welt hält den Atem an. Gleich wird der Lärm beginnen, werden Motoren starten, Türen schlagen, Stimmen rufen. Aber jetzt, in diesem Augenblick, ist da nur das Licht, das durch die Menschenspuren am Himmel bricht, und die Erde, die geduldig wartet.

Was bleibt? Die Kirche wird bleiben, die Felder werden bleiben, die Sonne wird wiederkommen. Die Kondensstreifen werden vergehen, wie wir alle vergehen werden. Und doch ist da diese Schönheit in der Vergänglichkeit, in den Linien, die wir ziehen, in den Spuren, die wir hinterlassen, auch wenn sie sich auflösen. Vielleicht ist das die eigentliche Himmelschrift: nicht was wir schreiben, sondern dass wir es versuchen, gegen das Vergessen, gegen die Zeit, gegen den Nebel, der alles verschluckt.

 

Wenn ich so an den Himmel schau, ich meine jetzt das Firmament
dann sieht es meistens aus, wie aus Zement.
Doch halt, das stimmt nicht ganz genau,
denn oft ist es auch ziemlich blau.

 
Sozusagen grundlos vergnügt - Mascha Kaléko (1907 - 1975)

Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen
Und dass es regnet, hagelt, friert und schneit.
Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit,
Wenn Heckenrosen und Holunder blühen.
 – Dass Amseln flöten und dass Immen summen,
Dass Mücken stechen und dass Brummer brummen.
Dass rote Luftballons ins Blaue steigen.
Dass Spatzen schwatzen. Und dass Fische schweigen.

Ich freu mich, dass der Mond am Himmel steht
Und dass die Sonne täglich neu aufgeht.
Dass Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter,
Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter,
Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn.
Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn!
Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn.
Ich freue mich vor allem, dass ich bin.

In mir ist alles aufgeräumt und heiter:
Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt.
An solchem Tag erklettert man die Leiter,
Die von der Erde in den Himmel führt.
Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben,
– Weil er sich selber liebt – den Nächsten lieben.
Ich freue mich, dass ich mich an das Schöne
Und an das Wunder niemals ganz gewöhne.
Dass alles so erstaunlich bleibt, und neu!
Ich freue mich, dass ich ... Dass ich mich freu.

(C) 2025 Bilder und Text by Werner