Publikum
by wernerpublished on
wenn man als Landpomeranze in eine größere Stadt fährt, ist es immer wieder ein besonderes Erleben, wie viele Menschen es doch so gibt und wie unterschiedlich der Habitus ausfallen kann.
urspünglich wollte ich mit dem Bild die immer noch sehr moderne Architektur im Inneren der Berliner Philharmonie abbilden.
Auf dem Leuchttisch vulgo Bildschirm sind mir die Positionierung der beteiligten Besucher und die individuellen Bewegungsrichtungen im Bauwerk aufgefallen. So wie Menschen sich eben bewegen.
Durch die Anonymisierung der Personen mit Schwärzung, die ich eigentlich nur versuchsweise und aus Gaudi bei der Bildbearbeitung vorgenommen hatte, bekam das Bild plötzlich einen zwiespältigen Ausdruck. Auf den ersten Blick sehen wir ein Realbild eines öffentlichen Innenraums mit Treppen, Geländern und Gängen. Mit dem zweiten Blick fällt uns die scherenschnittartige Installation der Besucher auf. Hierdurch entsteht eine Transformation des Realen in das Fiktive, wie sie bspw. bei Architektur-wettbewerben in der Präsentationsdarstellung des Entwurfs benutzt wird. Ein weiterer Eindruck ist die Transformation des Bewegten in das Unbewegte. Die schwarzen Scherenschnitte wirken wie statische Pappaufsteller zur Demonstration der geplanten Nutzung.
Der Mensch in seiner Umwelt,
wirkt manchmal wie falsch hingestellt.
An das Publikum - Kurt Tucholsky (1890 - 1935)
O hochverehrtes Publikum,
sag mal: bist du wirklich so dumm,
wie uns das an allen Tagen
alle Unternehmer sagen?
Jeder Direktor mit dickem Popo
spricht: «Das Publikum will es so!»
Jeder Filmfritze sagt: «Was soll ich machen?
Das Publikum wünscht diese zuckrigen Sachen!»
Jeder Verleger zuckt die Achseln und spricht:
«Gute Bücher gehn eben nicht!»
Sag mal, verehrtes Publikum:
bist du wirklich so dumm?
So dumm, daß in Zeitungen, früh und spät,
immer weniger zu lesen steht?
Aus lauter Furcht, du könntest verletzt sein;
aus lauter Angst, es soll niemand verhetzt sein;
aus lauter Besorgnis, Müller und Cohn
könnten mit Abbestellung drohn?
Aus Bangigkeit, es käme am Ende
einer der zahllosen Reichsverbände
und protestierte und denunzierte
und demonstrierte und prozessierte...
Sag mal, verehrtes Publikum:
bist du wirklich so dumm?
Ja, dann...
Es lastet auf dieser Zeit
der Fluch der Mittelmäßigkeit.
Hast du so einen schwachen Magen?
Kannst du keine Wahrheit vertragen?
Bist also nur ein Grießbrei-Fresser –?
Ja, dann...
Ja, dann verdienst dus nicht besser.
(C) 2025 Bild und Text by Werner