Schönheit im Alter

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momentan fällt es echt schwer zu Hause zu bleiben. Die Sonne scheint, die Blüten duften, alles wird grün.... 

Bei einer kleinen Wanderung heute Vormittag über die Felder der Umgebung ist uns auf einer Streuselobstwiese diese alte Schönheit zwischen vielen anderen alten Schönheiten begegnet.

es ist schier ungeheuerlich welche Blütenpracht und Kraft in dem uralten Stamm steckt. Der Stamm, dessen Rinde von den auf der Wiese weidenden Rindern abgeschubbert wurde und jetzt halb nackt Wind und Wetter ausgesetzt ist, dieser Stamm trägt richtungsweisend einen kräftigen Ast. 

Man stelle sich vor, selbst Jahr um Jahr an immer ein und derselben Stelle zu stehen. Vieles kommen und gehen sehen. Und jedes Jahr wieder auf ein Neues den Anlauf nehmen und die Kraft und die Freude zu entfalten, um dem alten Gedanken folgend eine Blütenpracht für herrliche Früchte hervorzubringen.

Ein alter Baum im Wiesengrund,
im Frühling trägt er gerne bunt.

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland
- Theodor Fontane (1819 - 1898)

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: »Junge, wiste 'ne Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn.«

So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit;
Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab.«
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen »Jesus meine Zuversicht«,
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
»He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?«

So klagten die Kinder. Das war nicht recht –
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er tat,
Als um eine Birn' ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.

Und die Jahre gehen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet's wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,
So flüstert's im Baume: »Wiste 'ne Beer?«
Und kommt ein Mädel, so flüstert's: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew' di 'ne Birn.«

So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

(C) 2025 Bild und Text by Werner