Willi & Carlo - im Bild

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Wer die Beiden noch nicht kennt und weiß wie sie ticken, findet hier mehr Info.


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14. Folge: „E wie Existenz, der neue Gebäudetyp E“

Ein grauer Novembermorgen in der Bundeshauptstadt. Die beiden stehen vor einem modularen Bau aus gestapelten Containern. Graffiti auf der Mauer davor: „My Body My Choice!“ – trotzig, weiß, unübersehbar.

Willi (mit verschränkten Armen, sachlich): „Da steht er. Gebäudetyp E. Effizient. Erweiterbar. Entkoppelt vom Boden und vom Pathos.“

Carlo (zieht die Augenbrauen hoch, streicht über die Mauer): „Entkoppelt vom Boden, ja – aber auch vom Gefühl. Das hier ist kein Bauwerk, das ist ein Algorithmus in Blech und Stein.“

Willi: „Ein Algorithmus, der funktioniert. Schnelle Montage, geringe Kosten, flexible Nutzung. Das ist Fortschritt, Carlo, Fortschritt.“

Carlo (lehnt sich an die Wand, halb ironisch): „Fortschritt? Vielleicht. Aber wo bleibt die Würde? Wo bleibt das Unverwechselbare? Jeder dieser Module könnte überall stehen – Berlin, Bielefeld oder Bagdad.“

Willi (nickt): „Genau das ist der Punkt. Universalität. Skalierbarkeit. Wir bauen nicht mehr für die Ewigkeit, sondern für die Gegenwart.“

Carlo: „Und was sagt die Gegenwart? Sie schreibt mit Spraydose: Mein Körper, meine Wahl. Vielleicht ist Gebäudetyp E auch ein Spiegel – für unsere fragmentierte Gesellschaft.“

Willi (blickt auf die Fenster): „Oder ein Container für Hoffnung. Für Menschen, die sonst gar keinen Raum hätten. Manchmal ist das Minimum das Maximum.“

Carlo (nachdenklich): „Vielleicht. Vielleicht ist Gebäudetyp E nicht das Ende der Architektur, sondern ihr Reset. Ein Nullpunkt mit Steckdose.“

Neugierig geworden, betreten die beiden den Laubengang vor den Eingängen. Sie treten durch die schmale Eingangstür. Ein langer Flur, die Wände schlicht, die Fenster rechteckig und gleichmäßig verteilt. Zwei Bewohner kommen ihnen entgegen. Sie kommen ins Gespräch.

Die Bewohnerin (junge Mutter, pragmatisch): „Es ist nicht schön, aber es ist sicher. Wir haben Heizung, wir haben Licht. Für meine Kinder ist das ein Anfang.“

Carlo (nickt, leise): „Ein Anfang, ja. Aber kein Zuhause. Es ist wie ein Satz ohne Metapher.“

Der Bewohner (älterer Mann, trocken): „Ich habe schon in schlechteren Räumen geschlafen. Hier ist es sauber. Und wenn man die Augen schließt, ist es egal, ob die Wände aus Beton oder Blech sind.“

Willi (sachlich): „Das ist die Essenz. Funktion vor Form. Ein Dach über dem Kopf ist mehr wert als Ornament.“

Die zwei schauen durch die Tür in einen freien Wohnraum.

Willi (zieht ein Notizbuch hervor): „Die Räume sind standardisiert: 18 Quadratmeter pro Einheit, rechteckige Grundform, klare Rasterung. Das spart Material und Zeit.“

Carlo (schaut aus dem Fenster): „Und die Fenster? Sie sind alle gleich – 1,20 mal 1,20 Meter. Quadrate, die den Himmel portionieren. Kein Blick, nur Ausschnitt.“

Willi: „Quadrat bedeutet Gleichheit. Jeder bekommt denselben Zugang zu Licht und Luft. Keine Hierarchie.“

Carlo (ironisch): „Keine Hierarchie, aber auch keine Poesie. Ein Fenster kann ein Vers sein – hier ist es nur ein Maß.“

Willi: „Maß ist Ordnung. Ordnung ist Voraussetzung für Skalierbarkeit. Gebäudetyp E ist kein Gedicht, Carlo, er ist eine Tabelle. Länge mal Breite mal Höhe.“

Carlo (lächelt): „Eine Tabelle, die (er hebt die Stimme und den Zeigefinger) vielleicht irgendwann zur Partitur wird. Wenn jemand beginnen sollte, darin zu leben, zu träumen, zu improvisieren.“

Sie verlassen die Wohnanlage wieder und ziehen in ein kleines Café gegenüber. Die Fenster sind beschlagen, der Geruch von Filterkaffee und Croissants liegt in der Luft. Willi und Carlo sitzen am Tisch, die Baucontainer im Blick. Die Bedienung kommt und bringt die Bestellung.

Bedienung (mit Berliner Schnauze, stellt zwei Tassen hin): „Na ihr swei, wollt ihr über die Häuser philosophier´n oder über’n Kaffe? Der is’ nämlich heiß, aber nicht hübsch – genau wie eure Kisten da draußen.“

Carlo (lacht, nimmt einen Schluck): „Genau das ist der Punkt. Architektur ist nicht nur Technik, sie ist auch sozialer Stoff. Ein Gebäude formt Gemeinschaft – oder verhindert sie.“

Willi (stellt die Tasse ab, sachlich): „Gemeinschaft braucht Räume, Carlo. Räume, die bezahlbar sind. Gebäudetyp E ist kein Palast, aber er schafft Platz für Menschen, die sonst keinen hätten.“

Carlo: „Aber Platz allein reicht nicht. Es geht um Würde. Wenn Fenster nur Quadrate sind, wenn Räume nur Raster sind – dann wird das Leben selbst zum Schema.“

Bedienung (grinst, wischt den Tisch): „Ach, ihr beede mit eure Würde. Hauptsache, die Leute haben’s warm und trocken. Allet andere kommt von alleene – oder eben nich’.“

Willi (nickt zustimmend): „Das ist die soziale Dimension: Sicherheit, Verlässlichkeit, ein Minimum an Standards. Ohne das geht gar nichts.“

Carlo (lehnt sich zurück, nachdenklich): „Und doch – vielleicht ist es Aufgabe der Architektur, mehr zu geben als das Minimum. Ein Fenster, das nicht nur Licht bringt, sondern auch Hoffnung.“

Bedienung (trocken): „Hoffnung die jibt’s hier nich’ auf der Karte. Aber Nachschlag beim Kaffe schon.“

Bedienung (schenkt Kaffe nach, schaut raus zum Containerbau): „Ick sehe wat ihr denkt! Vajesst ma fix Schachtelhausen und Wohnbox. Det da draußen is’ die Wohndose Deluxe! Stapelware mit ’nem schicken Namen – passt doch, oda.“

Carlo (lacht, hebt die Tasse): „Wohndose Deluxe – klingt nach Luxus im Raster. Ein Etikett, das mehr verspricht, als es hält.“

Willi (schmunzelt, sachlich): „Und doch: ein Name, der bleibt. Berliner Spitznamen sind wie Patina – sie machen aus Funktion Geschichte.“

Bedienung (grinst, trocken): „Na siehste. Jeder Bau kriegt hier ’n Spitznamen. Sonst wär’s ja nur Beton und Blech. Prost, ihr Philosophen.“


13. Folge: „No where Land“

Willi & Carlo sind wieder unterwegs und sind im Nirgendwo an einer Haltestelle nach Nirgendwo gelandet. Natürlich müssen die Beiden über das naheliegende Thema, den Personennahverkehr im ländlichen Raum, diskutieren. Es ist ein grauer Nachmittag. Die Haltestelle steht im Wind, das Schild „An der Hütte“ wirkt wie ein Versprechen, das niemand eingelöst hat und nicht eingelöst wird. Willi sitzt auf der Bank in der Hütte, Carlo lehnt am Fahrplan, der seit Monaten nicht aktualisiert wurde. Die Blätter tanzen, aber kein Bus kommt.

Willi: Du weißt, was das hier ist, Carlo? Das ist kein Ort. Das ist eine Zumutung und ein Zustand. Ein Zustand namens „Warten auf den Bus, der nie kommt“.

Carlo: Oder ein Gedicht. „An der Hütte“ – klingt wie ein Versmaß aus dem Plattdeutschen. Vier Silben, ein Seufzer. Meine Gütte.

Willi: Ein Seufzer mit Fahrplan. Aber schau dir das Ding an. Grün hinter Plexiglas. Linie 171, werktags um 6:48. Und dann? Nichts. Gar nix. Wie ein Versprechen, das nur einmal im Jahr eingelöst wird.

Carlo: Personennahverkehr im ländlichen Raum. Ein Euphemismus für „Du brauchst ein Auto, sonst bleibst du hier“.

Willi: Oder ein Fahrrad mit Akkusegen. Aber wehe, du bist alt, müde oder einfach nur Mensch. Dann wird aus Nahverkehr Fernweh.

Carlo: Ich hab mal gelesen, dass Mobilität Würde bedeutet. Aber hier? Hier bedeutet sie: „Frag deinen Nachbarn, ob er dich mitnimmt.“

Willi: Oder: „Lauf. Und nimm Proviant mit.“ Ich mein, Carlo, wir reden über Grundversorgung. Nicht über Abenteuerurlaub.

Carlo: Aber es ist doch auch schön, oder? Diese Stille. Diese Möglichkeit, dass vielleicht doch ein Bus kommt. Ein Bus voller Geschichten, voller Leute, die auch dachten: „Ich steig hier nie wieder aus.“

Willi: Du meinst, die Haltestelle als Portal? Nach Irgendwo, das besser ist als Nirgendwo?

Carlo: Genau. Vielleicht ist das die neue Utopie: Ein Bus, der kommt. Ein Fahrer, der grüßt. Ein Fahrgast, der sagt: „Ich bin auch nur hier, weil ich inständig gehofft und gebetet hab.“

Willi: Dann sollten wir hier bleiben. Warten. Nicht auf den Bus. Sondern auf die Idee, dass ländlicher Raum mehr ist als Restfläche.

Carlo: Mehr als ein Ort, den man verlässt. Mehr als ein Schild mit vier Silben. „An der Hütte“. Vielleicht ist das der Anfang.

Ein Windstoß. Ein Blatt landet auf Willis Knie. Er hebt es auf, faltet es wie ein Fahrplan. Beide schweigen. Die Straße bleibt leer. Plötzlich kommt ein grauer, struppiger Hund aus dem Nichts vorbei und bleibt neben Carlo stehen. Kein Halsband, nichts als ein würdevoller Blick . Jetzt sieht es so aus als warten Drei auf den Bus.

Carlo: Na sieh mal einer an. Jetzt sind wir offiziell eine Warteschlange.

Willi: Oder ein Ensemble. „Warten auf Linie 171“ – ein Stück in drei Akten, mit Hund.

Carlo: Er sieht aus, als hätte er das schon öfter gemacht. Vielleicht ist er der Stammgast hier. Der Einzige, der weiß, dass der Bus nie kommt – und trotzdem bleibt.

Willi: Oder er wartet nicht auf den Bus. Sondern auf uns. Auf Menschen, die noch glauben, dass Warten ein Akt der Hoffnung ist.

Carlo: Oder ein Ritual. Wie das tägliche Gucken aufs Händy. Man weiß, dass sich nichts geändert hat – aber man schaut trotzdem.

Willi: Der Hund versteht das. Er ist nicht ungeduldig. Er ist Gegenwart mit Fell und Schnauze.

Carlo: Vielleicht sollten wir ihn fragen, wie man das macht: Warten, ohne zu verzweifeln.

Willi: Oder einfach neben jemandem sitzen, ohne zu fragen, wohin er will.

Carlo: Das ist es doch, oder? Personennahverkehr ist nicht nur Infrastruktur. Es ist Beziehungspflege. Ein Bus, der kommt, sagt: „Du bist nicht allein.“

Willi: Und ein Hund, der bleibt, sagt: „Ich warte mit dir.“ Vielleicht ist das mehr wert als jede Taktverdichtung.

Der Hund hebt den Kopf, schaut erst Willi, dann Carlo an, als hätte er das verstanden. Dann legt er sich hin, den Kopf auf die Vorderpfoten. Die Straße bleibt leer.

Das Wartehäuschen steht da wie ein vergessenes Denkmal aus Holz und Beton. Die Scheune daneben – rot gedeckt, verwittert – scheint nicht dazu zu gehören. Der Hund hebt den Kopf, Carlo streicht über die rauen Wände des Häuschens.

Carlo: Weißt du, Willi, dieses Häuschen… Es ist wie ein Versprechen, das jemand gebaut hat und dann vergessen hat zu erhalten.

Willi: Oder ein Denkmal. Für alle, die mal geglaubt haben, dass der Bus regelmäßig kommt. Dass Anschluss mehr ist als ein Wort im Fahrplan.

Carlo: Die Scheune daneben – die hört zu. Ich schwör’s dir. Die hat schon hundert Gespräche wie unseres gehört. Und nie widersprochen.

Willi: Sie widerspricht mit Schweigen. Mit stillen Dachziegeln, die sagen: „Ich bin geblieben, obwohl ihr alle gefahren seid.“

Carlo: Und das Häuschen? Das ist der letzte Rest von Infrastrukturromantik. Ein Ort, der sagt: „Setz dich. Vielleicht kommt jemand.“

Willi: Oder: „Setz dich. Vielleicht kommst du selbst zu dir.“ Ich mein, Carlo, wir reden hier nicht nur über Mobilität. Wir reden über Würde im Warten, über Meditation und Selbstfindung.

Carlo: Der Hund, der versteht das. Er hat sich ja ins Häuschen gelegt. Als wär’s sein Wohnzimmer.

Willi: Vielleicht ist es das. Für ihn. Für uns. Ein Ort, der nicht fragt, wohin du willst – sondern ob du bleibst.

Ein Windstoß fährt durch die Bäume. Die Scheune knarzt. Das Häuschen bleibt still. Die Drei warten. Die Straße bleibt leer.

Ein leises Brummen kündigt es an. Dann biegt es um die Kurve: ein Bus. Er hält. Die Tür öffnet sich, keine Fahrgäste steigen aus. Ein Päckchen fliegt heraus – sauber geworfen, wie ein Gruß. Der Hund erhebt sich, nimmt es ins Maul und trottet davon, zielstrebig, als hätte er einen Auftrag. Willi und Carlo stehen auf.

Willi: Was zum… Hast du das gesehen?

Carlo: Ich hab’s nicht nur gesehen. Ich hab’s irgendwie schon gefühlt. Das war kein Zufall.

Willi: Ein Bus, der kommt, nichts sagt – und ein Hund, der geht. Das ist kein Nahverkehr. Das ist Logistik mit Seele.

Sie treten näher an den Bus. Der Fahrer, ein Mann mit Mütze und melancholischem Blick, lehnt sich aus dem Fenster.

Carlo: Entschuldigung… Was war das gerade?

Busfahrer: Lieferung. Für Frau Mertens. Der Hund bringt’s ihr. Macht er jeden Samstag.

Willi: Der Hund ist der Zusteller?

Busfahrer: Korrekt. Seit die Post hier nicht mehr fährt, der Einkaufsladen geschlossen ist und der Bäcker fort ist. Er kennt den Weg. Und Frau Mertens kennt ihn.

Carlo: Aber… das ist doch absurd.

Busfahrer: Absurd ist, dass ihr hier steht und denkt, es gäbe keine Lösungen. Der Hund ist die Lösung. Der Bus ist der Träger. Die Haltestelle ist der Übergabeort. Ländlicher Dreiklang.

Willi: Und wir?

Busfahrer: Ihr seid Zeugen. Vielleicht auch Teil des Systems. Wer weiß, was ihr morgen tragt.

Der Busfahrer lächelt, schließt die Tür. Der Bus fährt weiter. Staub wirbelt auf. Willi und Carlo blicken dem Hund nach, der bereits hinter der Scheune verschwunden ist.

Carlo: Ich glaub, wir haben gerade etwas verstanden. Aber ich weiß nicht was.

Willi: Vielleicht, dass Nahverkehr nicht nur Menschen bewegt. Sondern auch Geschichten. Und wir haben den Bus verpasst.


Einige kleine Gedanken zum Titel „No where Land“

„No where Land“ ist kein geografischer Ort, sondern ein Zustand den wir öfter im ländlichen Raum finden. Es ist die Zwischenwelt, in der sich auch Willi & Carlo befinden – wartend, fragend, beobachtend. Die Haltestelle "An der Hütte" wird zum Symbol für das Warten im ländlichen Raum: auf Mobilität, auf Verbindung, auf Bedeutung.

Der Titel spielt bewusst mit der Trennung von „no“ und „where“ – es ist nicht einfach ein „Nirgendwo“, sondern ein „Nicht-hier“, ein „Nicht-da“. Ein Ort, der nur existiert, weil jemand ihn befragt.

Das Wartehäuschen, die Scheune, der Hund, der Bus – sie alle sind Teil dieses „No where Land“. Sie handeln, ohne zu erklären. Sie zeigen, dass auch im scheinbaren Stillstand Bewegung steckt – wenn man genau hinsieht.

Mit „No where Land“ wird die Szene nicht abgeschlossen, sondern geöffnet. Die drei Fragen, die am Ende entstehen – Was ist im Päckchen? Wer ist Frau Mertens? Was passiert, wenn Willi & Carlo dem Hund folgen? – sind Einladungen, Aufforderungen. Nicht zum Antworten, sondern zum Weiterdenken.

„No where Land“ ist damit nicht nur ein Titel, sondern ein poetischer Rahmen für das, was zwischen den Zeilen geschieht. Ein Ort, den man nicht findet – sondern erlebt.


12. Folge: „Et is no immer joot jejange“

Die Beiden, Willi & Carlo, stehen am Rhein und betrachten die seltsam verformten Schifffahrtszeichen, die aussehen wie Kunst auf Speed und unterhalten sich über die Möchlickeijten wat dann da nu so los sein könnte. Willi - diesmal ruhrpottdeutsch un de Carlo - rheinisch mit Düsseldorfer Akzent. Et is der Elfte-Elfte im Jahre des Herrn und dementsprechend jesechnet. Bisken wat zum Trinken is ja auch mit bei.

Willi (Ruhrpottdeutsch): „Ey Carlo, sach ma… wat is dat denn da für’n Gedöns? Die Dinger sehn aus, als hätt einer inne Nachtschicht mit’m Schweißgerät Kunst gemacht, aber ohne dattern Plan hatte.“

Carlo (rheinisch, Düsseldorfer Akzent): „Jung, dat is Kunst am Fluss, ne? Dat soll (er hebt Aussprache auf hochdeutsch) die Verbindung zwischen Mensch und Wasser symbolisieren. Oder so. Jedenfalls hat dat irgendein Professor sich ausjedacht, mit vill Förderjeld und wenich Realitätssinn.“

Willi: „Fördergeld, sachste? Da hammers doch. Früher warn dat Schifffahrtszeichen, heute is dat ’ne Instagram-Kulisse für Latte-Macchiato-Touristen. Ich sach dir, dat hat hier nix mehr mit Hafenromantik oder Schifffahrt zu tun.“

Carlo: „Ach komm, Willi. Dat is doch schön, dat sich wat tut am Rhing. Früher war hier nur Kies und Kähne, heute kannste flanieren und dabei übber verformte Pfeile und sone Zeichen philosophieren. Dat nennt sich urbanes Erleben.“

Willi: „Urbanes Erleben? Ich erleb hier höchstens, wie mein Bier warm wird, weil ich nich weiß, ob ich dat auf ’nem Kunstwerk abstellen darf oder ob dat dann direkt au ma so als Pärformänz zählen tut.“

Carlo: „Dat wär dann Konzeptkunst, Willi. Du stellst dat Bier ab, und plötzlich heißt dat Werk: „Vergänglichkeit im Plastikbecher“ oder „Et Pülleken un Du". Und zack – biste Teil der Ausstellung.“

Willi: „Ich sach dir, Carlo, wenn dat hier noch schräger werden tut, dann bau ich mir selbst ’ne Skulptur aus deine alten Grillroste und nenn dat „Ruhrpott trifft Rhein“. Und dann will ich auch Föördergeld!“

Carlo: „Dat würd ich mir sogar angucken. Aber nur, wenn’s Altbier un Flöns gibt und keine Klangschalen.“

Willi reicht Carlo ein neuet Pülleken rübber und gezz kommen die Beiden in anderes filosofisches Fahrwasser.

Willi: „Ey Carlo, sach ma ehrlich: Wat soll dat eigentlich mit diese Klangschalen? Da hocken die Leute auff’m Rasen, machen ’ne Mucke wie von son Ufo und tun so, als wär dat Erleuchtung übberhaupt.“

Carlo: „Dat is Meditation, Willi. Innere Ruhe, ne? Du hörst den Ton, und plötzlich biste eins mit dem Universum. Oder mit dem Rhing. Je nachdem, wie vill Alt du vorher jebechert hattest. So jesehen.“

Willi: „Ich sach dir, meine innere Ruhe kommt, wenn ich ’ne Currywurst krich – schön schaaf, mit Pommes Schranke. Kennste, nä. Da brauch ich keine Schale, da brauch ich ’ne gut gefüllte Pappschale! Heiß muss die Wurst!!“

Carlo: „Aber guck ma: Die Klangschale is wie die Currywurst – beides will doch wat bewirken. Die eine im Geist, die andere erst auf der Zunge und dann im Magen. Und wenn du beides kombinierst, haste vielleicht die perfekte Balangce.“

Willi: „Balangce? Ich hab Balangce, wenn ich mit zwei Bier inne Hand über’n Bordstein komm, ohne zum stolpern. Und dat passiert selten, sach ich dir.“

Carlo: „Dat is dann deine persönliche Zen-Übung. Jeder hat sein Ritual. Du mit de Wurst, ich mittem Klang. Und am Ende sitzen wa doch beide hier und gucken auf dieselben schrägen Schifffahrtszeichen.“

Willi: „Stimmt. Vielleicht is dat Leben einfach nur ’ne große Pommesbude mit Hintergrundmusik. Und jeder sucht sich aus, ob er Senf, Meditation oder beides will.“

Die Beiden gehen wieder ans Ufer zurück und setzen sich auf eine dort montierte Parkbank. Willi hat das SIXPÄCK unterm Arm und Carlo zieht noch ein Stößchen aus der Tasche.

Willi: „Ey Carlo, ich sach dir, dat is Leben hier. Parkbank, bissken Sonne, ’ne Pulle Alt – wat willze mehr? Früher ham wa malocht, heute filosofier’n wa mit Hopfen im Hals. Dolle Nummer.“

Carlo: „Dat is doch herrlich, Willi. Die Bank is wie ’ne Bühne, und jeder, der vorbeigeht, spielt sein Stück. Manche mit Hund, manche mit Jogginghose, manche mit Klangschale unterm Arm. Wir heute mittem SIXPÄCK un nem Stößchen.“

Willi: „Klangschale, sachste schon widder? Ich hab grad am Pülleken gehört, wie dat Alt zischt – dat is mein Klang. Und wenn dat nich reicht, dann kommt noch ’ne Currywurst mit alles un Extraschaaf odern Stößchen. Dat is Meditation für Fortgeschrittene.“

Carlo: „Weißte, wat ich glaube? Die Welt is wie ’ne Parkbank: mal unbequem, mal voller Taubenkacke, aber wenn de Glück hast, sitzt da einer neben dir, mit dem de lachen kannst. Und dann wird aus Alltag Kunst un Spasss.“

Willi: „Oder aus Kunst Alltag. Guck dir die Schifffahrtszeichen da an – früher warn dat Wegweiser, heute sind se Denkzettel. Vielleicht soll dat uns sagen: „Geh deinen Weg, aber vergiss den Senf nich.“

Carlo: „Boah ey, dat is tief, Willi. Fast schon poetisch. Ich sach: Wenn dat hier ’ne Ausstellung wär, dann wär unser Parkbank-Gespräch das Hauptwerk. Titel: „Zwei Flaschen Weisheit am Fluss“.“

Willi: „Mit Untertitel: „Und keiner hat ’ne Klangschale gebraucht.“

Die Sonne geht langsam runter, das Altbier zischt noch einmal leise inne Gurgel, und irgendwo spielt jemand auf ’ner Mundharmonika den Soundtrack zum Tag. Willi lehnt sich zurück, Carlo grinst – und beide wissen:

Manchmal reicht ’ne Bank, ’ne Wurst mit Bier und ’n guter Kumpel, um die Welt zu verstehen.


11. Folge : Hilde, oder Es lebe die Anarchie

Hier und heute ein literarisches Kleinod – eine Szene, die zwischen Maschinenethik, EU-Bürokratie und Hühneranarchie oszilliert, mit rhythmischer Präzision und einem herrlich subversiven Humor. Die dramaturgische Verdichtung durch Hilde als „lebendiger Bug[4]“ ist nicht nur poetisch, sondern auch philosophisch wirksam: ein Störsignal, das das System entlarvt und zugleich rettet.

Ort:
Die Scheune von Paule, dem Treckermörder, zwischen Werkbank, Ölfässern, Hühnern, Gänsen und fluoreszierendem Licht. Durch die offene Scheunentür fällt Licht auf die Szene.

Personen:
Willi - wie immer pragmatisch aber skeptisch,
Carlo - wie immer neugierig, idealistisch,
Paule - wie immer technisch versponnen, wortkarg,
Elvira - wie immer mit beiden Beinen auf der Erde.

Willi (tritt vorsichtig über ein Kabelbündel):
„Sag mal Paule… das Ding da vorne – ist das noch Landwirtschaft oder schon Maschinenethik?“

Paule (ohne aufzublicken, streicht über eine Hydraulikleitung):
„EVP. ExVolaillePréparée[5]. Frisst keine Körner, nur Vorschriften.“

Carlo (beugt sich zu einem Huhn, das zwischen den Reifen pickt):
„Und was genau… macht es mit den Hühnern?“

Paule (trocken):
„Sortiert, zählt, dokumentiert. Und wenn nötig: terminiert. Alles EU-konform.“

Carlo (leise, fast zu sich selbst):
„Freilandhaltung… das klang mal nach Freiheit. Jetzt ist’s ein PDF mit 37 Seiten.“

Willi (nickt, greift nach einem Ölfass):
„Und jeder Hühnerstall braucht WLAN, GPS und ein Auditprotokoll. Ich sag’s dir: Die Hühner sind freier als wir.“

Paule (lächelt schief):
„EVP kann auch WLAN. Und die Enten? Die ignorieren alles. Die sind die letzten Anarchisten.“

Carlo (blättert an der Werkbank in einem zerknitterten Ausdruck):
„Hier steht: 'Geflügel muss jederzeit Zugang zu Außenklimabereichen haben.' Was heißt das für den EVP?“

Paule (zündet sich eine Zigarette an, obwohl es nach Hydrauliköl riecht):
„Der EVP hat eine Klappe für den Auslauf. Automatisch. Mit Wetterdatenabgleich. Wenn’s regnet, bleibt's Tor zu. Wenn’s trocken ist, geht's auf. Die Hühner entscheiden nichts. Die EU tut’s.“

Willi (leise):
„Und wir? Entscheiden wir noch irgendwas?“

Paule (zieht an der Zigarette und wirft den Trecker an):
„Seht selbst!“

Der Trecker kommt auf Touren, der EVP wackelt und ruckelt. Die Vorführung des EVP beginnt. Es breitet sich Spannung aus, leises Grollen, ein Hauch von Widerstand weht spürbar durch die Scheune.

Paule (drückt auf ein Tastenfeld am EVP):
„Jetzt passt auf. Der automatische Auslaufselektor aktiviert sich gleich. Die Hühner werden gescannt, sortiert, und…“

Ein leises Zischen. Dann ein metallisches Knacken. Die Leuchtstoffröhren flackern. Ein rotes Warnlicht blinkt am EVP.

Willi (tritt zurück):
„Was war das?“

Carlo (blickt auf das Display):
„Fehlercode 17-B. 'Unidentifizierbares Geflügelobjekt'.“

Ein einzelnes Huhn – mit buntem Gefieder, leicht zerzaust und einem blauen Ring am Bein steht direkt vor dem EVP. Es gackert laut, pickt gegen einen Sensor.

Paule (fassungslos):
„Das ist… das ist Hilde. Die alte Ausreißerin. Die hat schon drei Mal den Hühnerzaun untergraben.“

Willi (leise):
„Und jetzt sabotiert sie den Fortschritt.“

Der EVP beginnt zu vibrieren. Hydraulikschläuche zucken. Ein Arm fährt aus, bleibt aber in der Luft stehen. Die Hühner flattern aufgeregt. Die Gänse ziehen sich in eine Ecke zurück. Aus. Der Trecker läuft noch schwach - kuppelt aus.

Carlo (versucht, das Gerät durch das Drücken verschiedener Tastenkombinationen zu beruhigen):
„Die Maschine erkennt Hilde nicht als normgerechtes Nutztier. Sie widersetzt sich der Klassifikation.“

Paule (schlägt mit der flachen Hand auf das Gehäuse):
„Sie hat einen alten RFID-Chip. Vor der EU-Revision. Der Algorithmus kennt sie nicht mehr.“

Willi (blickt auf Hilde, die nun auf einem Ölfass sitzt):
„Vielleicht ist sie genau das, was fehlt. Ein Störsignal im System. Ein lebendiger Bug.

Carlo (nachdenklich):
„Wenn ein Huhn den EVP lahmlegt, was sagt das über unsere Systeme? Über unsere Haltung? Über unseren Zustand?“

Paule (leise):
„Vielleicht… dass wir zu viel wollen. Zu viel Kontrolle. Zu wenig Chaos.“

Willi (nickt):
„Hilde bleibt. Als Mahnung. Und als Wächterin.“

Die Leuchtstofflampen stabilisieren sich. Der EVP fährt langsam herunter. Hilde gackert zufrieden. Die Scheune ist wieder ruhig. Der EVP steht still, Hilde pickt zufrieden an einem Kabel, die Gänse schnattern leise. Willi, Carlo und Paule stehen ratlos vor der Maschine.

Elvira (die Frau von Paule, tritt durch das Scheunentor, mit einem bunten Kopftuch und geht mit einem Tablett voller Tassen an eine Werkbank):
„Na, habt ihr den Weltuntergang verhindert oder nur wieder einen Trecker verhext?“

Paule (grummelt):
„War nur´n kleiner Zwischenfall. Hilde hat den Algorithmus sabotiert.“

Elvira (stellt das Tablett auf die Werkbank, schaltet eine klobige, dampfende Maschine ein):
„Hilde ist klüger als ihr alle drei Kerle zusammen. Die hat wenigstens noch Instinkt. Und - keine EU-Zulassungsnummer.“

Carlo (neugierig, deutet auf die dampfende Maschine):
„Was ist das für eine Maschine? Sieht aus wie ein umgebauter Kompressor.“

Elvira (stolz):
„Paules vorletzte Erfindung. Der Muckefuckomat 3000. Brühdruckregelung, Bohnenersatzsensor, und ein eingebauter Ironie-Indikator.“

Willi (schnuppert, nimmt einen Schluck aus Tasse):
„Schmeckt nach Kindheit und Widerstand.“

Elvira (setzt setzt mit einer dampfenden Tasse auf einen Ölfassdeckel):
„Genau. Und wenn ihr fertig seid mit euren Maschinen, Vorschriften und Hühnerprotokollen – denkt dran: Die besten Ideen entstehen immer an der Werkbank. Mit Muckefuck. Und einem Huhn, das sich nicht klassifizieren lässt.“

Wir ziehen uns jetzt langsam zurück. Die Leuchtstofflampen summen leise. Hilde sitzt auf dem EVP, als wäre es ihr Thron. Die Gänse schlafen. Und an der Werkbank sitzen vier Menschen und trinken Muckefuck – vereint in Humor, Technik und einem Hauch von Anarchie. Dank Hilde.


Was ich mir dabei gedacht habe

EVP als Parodie – literarisch und politisch
  • Maschine statt Partei: Die ExVolaillePréparée ist keine politische Organisation, sondern ein bürokratisches Ungetüm auf Rädern – sie dokumentiert, sortiert und „entscheidet“ über Lebewesen, ganz wie die reale EVP über Agrarpolitik und Normen.

  • Hilde als Widerstandsträgerin: Das Huhn, das sich dem System widersetzt, wird zur Allegorie für bäuerliche Selbstbestimmung, für das Unklassifizierbare, das sich nicht in Brüsseler Tabellen pressen lässt.

  • Elvira als Kommentatorin: Mit Witz und Muckefuck entlarvt sie die technokratische Hybris – sie bringt die Szene zurück zur Werkbank, zum Menschlichen, zum Humor.

  • Der Titel „Hilde, oder: Es lebe die Anarchie“ greift die politische Dimension auf: eine Ordnung jenseits der Ordnung, eine Würdigung des Widerstands gegen überregulierte Systeme.


  1. BUG = BetriebsUnwillige Gegenwart

    Definition: Ein BUG ist kein Fehler. Er ist ein Widerstand. Ein Moment, in dem das System sich selbst begegnet – und stolpert.

    Typologie:

    • Technisch: Ein unerwartetes Verhalten, das nicht vorgesehen war.

    • Poetisch: Ein Zeichen, dass etwas lebt.

    • Philosophisch: Ein Störsignal, das Wahrheit erzeugt.

  2. EVP (ExVolaillePréparée)

      Klassifikationseinheit für geflügelbasierte Nutzobjekte mit dokumentierter Lebensführung, auditfähigem Auslaufverhalten und optionaler Terminierungsfunktion.

10. Folge: „Die Kunst in der Fuge"

Ein grauer Hinterhof irgendwo in der Stadt. Willi & Carlo gehen über einen Weg mit großformatigen Betonplatten. Aus einer schmalen Fuge zwischen den Platten wächst eine kleine Pflanze – Löwenzahn, ein paar rötliche Blätter, ein Hauch von gelber Blüte. Trotzig. Wild. Ungebeten. Lebendig.

Willi (kratzt sich am Kopf): „Schau dir das an, Carlo. Die wächst einfach da raus. Aus dem Nichts. Kein Blumenbeet, keine Erde, nur dieser winzige Spalt und ein bisschen Sand."

Carlo (geht in die Knie, betrachtet die Pflanze): „Das ist kein Nichts, Willi. Das ist ein Versprechen. Die Pflanze hat gesagt: ‚Hier bin ich. Und ich bleibe.'"

Willi: „Oder sie hatte einfach keine Wahl. Der Samen ist irgendwo hingeweht worden, hat sich verklemmt, und jetzt muss sie das Beste draus machen."

Carlo: „Aber ist das nicht genau das, was Leben ausmacht? Nicht die perfekten Bedingungen – sondern der Wille, trotzdem zu wachsen. Zwischen Beton und Gleichgültigkeit."

Willi (seufzt): „Du siehst schon wieder Metaphern. Ich sehe eine Pflanze, die nächste Woche plattgetreten wird oder beim nächsten Regen weggeschwemmt."

Carlo: „Vielleicht. Aber heute ist sie da. Und das ist ihr Sieg."

Willi (blickt auf die Fuge, dann auf die Pflanze): „Weißt du… mein Opa hat immer gesagt: ‚Unkraut vergeht nicht.' Ich hab´ das nie verstanden. Ich dachte, das wär abwertend gemeint."

Carlo: „Und heute?"

Willi: „Heute denke ich, dass er vielleicht was anderes meinte. Dass manche Dinge einfach nicht aufgeben. Egal wie hart der Boden ist."

Carlo (lächelt): „Das Leben findet immer einen Weg. Durch Risse. Durch Zweifel. Durch Beton."

Willi: „Oder durch Sturheit."

Carlo: „Sturheit ist nur ein anderes Wort für Hoffnung, die nicht aufgibt."


(Eine Pause. Ein Vogel fliegt über sie hinweg. Der Wind trägt ein paar vertrocknete Blätter vorbei.)


Willi (leiser): „Als ich noch klein war, da gab es bei uns im Garten auch so eine Pflanze. Zwischen zwei Gehwegplatten. Meine Mutter wollte sie immer rausreißen. Hat sie nie geschafft – die kam immer wieder."

Carlo: „Was ist aus ihr geworden?"

Willi: „Irgendwann haben sie den ganzen Weg neu gemacht. Alles zubetoniert. Aber weißt du was? Ein Jahr später war sie wieder da. An einer anderen Stelle. Als hätte sie nur gewartet."

Carlo: „Siehst du, Willi. Manche Dinge lassen sich nicht besiegen. Sie verschieben sich nur."

Willi (schaut auf die kleine Pflanze vor ihm): „Vielleicht ist das die wahre Revolution. Nicht laut sein. Nicht kämpfen. Einfach immer wieder auftauchen. Nicht nachlassen!"

Carlo: „Und dabei so unscheinbar bleiben, dass man sie fast übersieht."

Willi: „Bis man stehen bleibt. Und hinschaut."

Carlo (nickt): „Wie wir gerade."


(Willi hockt sich neben Carlo. Beide betrachten schweigend die Pflanze. Die Sonne bricht durch eine Wolke und wirft einen schmalen Lichtstreifen auf die Fuge.)


Carlo (fast flüsternd): „Manchmal frage ich mich, ob wir nicht alle wie diese Pflanze sind. Wir suchen uns unseren Platz nicht aus. Wir finden uns irgendwo wieder – zwischen Erwartungen, zwischen Systemen, zwischen Betonplatten."

Willi: „Und dann?"

Carlo: „Dann haben wir zwei Möglichkeiten: Aufgeben. Oder wachsen."

Willi (lächelt schief): „Du machst aus einem Löwenzahn eine Lebensphilosophie."

Carlo: „Vielleicht ist der Löwenzahn die Lebensphilosophie. Und wir lernen nur langsam, sie zu lesen."

Willi (steht auf, streckt die Beine): „Weißt du was, Carlo? Ich lass sie stehen. Und wenn jemand fragt, warum ich nicht Ordnung mache, sag ich: ‚Das ist keine Unordnung. Das ist Widerstand.'"

Carlo (grinst): „Widerstand mit Wurzeln."

Willi: „Und mit mehr Haltung als die meisten Menschen."


(Die beiden gehen langsam weiter. Doch nach ein paar Schritten dreht sich Willi noch einmal um.)


Willi (ruft zurück zur Pflanze): „Halt durch, Kleine. Du hast schon Schlimmeres überlebt."

Carlo (leise, mehr zu sich selbst): „Und vielleicht überleben wir auch, weil sie es tut."


Ende


„Manche Dinge brauchen keine Erlaubnis. Sie wachsen einfach." — Carlo


9. Folge: „Ein Netz im Jetzt"

Es ist Nachmittag und die beiden, Willi & Carlo, sitzen im Garten und trinken Kaffee. Die Sonne scheint durch Schleierwolken vom herbstlichen Himmel. Während sie den Kaffee und die echt schwedischen Kekse genießen, beobachten sie die Bienen und Hummeln, die den letzten Nektar einsammeln. Da fällt ihr Blick auf ein Spinnennetz mit Aktivitäten. Natürlich können sie sich diese Gelegenheit zu philosophischen Betrachtungen über das Sein und Nichtsein, das Werden und Vergehen nicht ersparen. Willi der Realist und Carlo der Freigeist geraten wieder einmal in einen Disput mit einem erstaunlichen Ergebnis.

Willi (nippt am Kaffee, sein Blick scharf wie die Kante eines Klappmessers). „Siehst du, Carlo," beginnt er, „das ist Natur in ihrer aller nüchternsten Form. Absolute Effizienz. Totaler Zweck. Die Spinne handelt, weil sie muss. Kein Drama, kein Pathos."

Carlo (lehnt sich zurück, die Sonne spielt in seinem Haar wie ein vergessener Vers). „Aber Willi, schau doch genauer hin. Dieses Netz – das ist kein bloßes Werkzeug. Es ist ein Reim, eine Symphonie aus seidenen Fäden. Und die Wespe dort, wie sie sich windet – das ist doch ein Tanz zwischen Sein und Nichtsein."

Die Spinne wickelt weiter, ruhig, konzentriert, unbeirrt. Die Wespe zuckt noch, ein letzter Protest gegen das Unvermeidliche.

„Du romantisierst den Tod," murmelt Willi. „Das ist gefährlich."

„Ich ehre ihn," entgegnet Carlo. „Denn ohne das Vergehen gäbe es kein Werden. Die Spinne lebt, weil die Wespe stirbt. Und wir leben, weil wir das erkennen können."

Ein Windstoß lässt das Netz schwingen. Für einen Moment scheint alles still. Die Fäden schimmern wie feine Silberlinien im Gegenlicht.

Dann sagt Willi: „Vielleicht ist das Netz nicht nur Werkzeug. Vielleicht ist es auch Bühne. Das Podium des Lebens."

Carlo lächelt. „Und wir sind die Zuschauer, die manchmal glauben, selbst die Fäden zu spinnen."

Sie trinken ihren Kaffee schweigend weiter, knabbern noch einen Keks. Die Spinne vollendet ihr Werk. Die Wespe ist still.


Willi und Carlo bleiben noch in der Sonne sitzen und genießen den herbstlichen Tag, die Tassen inzwischen leer, das Spinnennetz still. Da öffnet sich das Gartentor mit einem leichten Quietschen – Frau Mertens, die Nachbarin von gegenüber, tritt ein. Ihr Strohhut wippt bei jedem Schritt, und in ihrer Hand trägt sie ein kleines Körbchen mit Zwetschgen aus dem eigenen Garten.

„Ach ihr zwei," ruft sie, „immer am Philosophieren. Ich hab euch von drüben lachen gehört – das tut gut, das tut gut."

Carlo erhebt sich leicht und deutet auf das Netz. „Frau Mertens, sehen Sie – dort. Die Spinne hat gerade eine Wespe erlegt. Willi nennt es Effizienz, ich nenne es ein Drama in drei Akten."

Frau Mertens tritt näher, kneift die Augen zusammen. „Ach herrje. Die arme Wespe. Aber auch: die Spinne muss ja leben. So ist das eben. Ich sag immer: 'Ein jeder trägt sein Päckchen, auch Spinnen ohne Säckchen..'"

Willi schmunzelt. „Hey, das ist eine neue Bauernregel, Frau Mertens."

„Na, dann schreibt sie auf, Willi. Ich hab noch mehr: 'Wenn das Netz sich spannt, änderts Leben sein Gewand.' Oder: 'Wer spinnt, gewinnt – zumindest das Abendessen.'"

Carlo lacht herzlich. „Sie haben ein großes Herz, Frau Mertens. Und ein feines Gespür für das Gleichgewicht."

Frau Mertens nickt. „Ich hab im Leben viel gesehen. Und ich sag euch: Manchmal ist das Leben wie dieses Netz – zart, aber stark. Und manchmal ist man die Spinne, manchmal die Wespe. Wichtig ist, dass man nicht vergisst, dass beides dazugehört."

Ein Moment der Stille. Die drei stehen nebeneinander, das Netz im Blick, die Zwetschgen im Korb, die Sonne im Rückzug.

„Ich bring euch später noch ein Stück Zwetschgenkuchen," sagt Frau Mertens. „Aber jetzt muss ich zurück. Die Bohnen wollen geerntet werden – und die Bohnen warten nicht."


Sie bleibt noch einen Augenblick stehen, betrachtet das Netz, wie es im Wind leise hin und her schwingt. Dann dreht sie sich um und geht langsam. Das Gartentor quietscht wieder.

Die Szene verweilt in der Stille. Die Spinne ruht, das Netz hängt wie ein Gedicht zwischen den Zweigen. Willi und Carlo bleiben stehen, und es ist Carlo, der den Impuls gibt:

„Lass uns ein kleines Ritual[3] vollziehen – nicht als Erklärung, sondern als Würdigung."

Frau Mertens, die gerade durch das Gartentor gehen wollte, hält inne und kehrt zurück. „Ein Ritual? Ja, das passt, das ist fein." Sie holt drei Zwetschgen aus ihrem Körbchen, legt sie behutsam auf einen flachen Stein nahe dem Netz. „Für das Werden, das Vergehen und das Verweilen."

Willi zieht aus seiner Jackentasche sein altes Opinel-Messer – das Klappmesser seines Großvaters, das schon viele Geschichten gesehen hat. Er ritzt drei Zeichen in den Stein: ein Kreis, ein Pfeil, ein Punkt.

„Der Kreis für das Ganze," sagt er. „Der Pfeil für das Handeln. Der Punkt für das Innehalten."

Carlo hebt eine Hand, spreizt die Finger wie ein Spinnenbein. „Und ich spreche einen Satz, der nicht erklärt, sondern begleitet: ›Was sich webt, bleibt – auch wenn es vergeht.‹"

Frau Mertens lächelt. „Das gefällt mir. Ich werde es in mein Tagebuch schreiben. Vielleicht mit einem Rezept für Zwetschgenkompott daneben."

Sie geht. Das Gartentor schließt sich leise.

Willi schaut Carlo an. „Ich glaube, Frau Mertens hat gerade unseren Disput entschieden."

Carlo nickt. „Mit Zwetschgen und Weisheit."

Sie gehen langsam auseinander, jeder in seinen Rhythmus. Das Netz bleibt zurück, schimmert im späten Nachmittagslicht – ein stilles Zeugnis des Augenblicks, der war und bleiben wird.


  1. 3. Ein Ritual ist wie ein kleines Drehbuch für eine Handlung, die du regelmäßig machst, um etwas zu ordnen, zu ehren oder zu verändern. Zum Beispiel: Vor dem Schreiben einer wichtigen Mail, die Tastatur ausrichten und tief durchatmen oder morgens einen Kaffee oder Espresso trinken und dabei kurz innehalten.

8. Folge: „Caramba Especial - Zwischen Zündkerze und Zucchini“

Manche Orte versprechen mehr als sie halten – und halten mehr als sie erklären. „Caramba Especial“ ist so ein Ort. Ein Lokal, das aussieht wie ein Restaurant, klingt wie eine Werkstatt und riecht nach Chorizo mit Maschinenöl. Für Willi & Carlo ist es nicht einfach ein Etablissement – es ist ein metaphysisches WD-40: ein Ort, der die knarzenden Stellen der Welt mit Tapas und HU [1]geschmeidig macht.

Hier beginnt ihre Geschichte – zwischen Zündkerze und Zucchini, zwischen Hunger und Reparaturauftrag.

Willi & Carlo, die beiden, stehen vor dem Eingang der Lokalität

Willi (mit verschränkten Armen): „Ich sag’s dir im Vertrauen, Carlo, das ist keine einfache Gaststätte. Das ist ein kulinarisch getarnter Instandsetzungsbetrieb. Sehr hintergündig!“

Carlo (schaut auf das Logo): „Willi, das ist ein Restaurant. Da steht Especial. Das heißt auf Spanisch: besonders. Nicht: ölverschmiert.“

Willi: „Und was ist mit dem Logo? Das sieht aus wie ein Mechaniker, der gerade einen Vergaser mit dem Geist der Revolution segnet.“

Carlo: „Oder ein Koch mit avantgardistischer Frisur. Vielleicht ist das die neue Haute Cuisine: Du bekommst dein Essen und dein Fahrrad wird gleichzeitig repariert und geschmiert.“

Willi (zeigt auf die Tür): „Da steht Caramba Especial in Großbuchstaben. Das schreit nach Tapas mit Drehmomentschlüssel.“

Carlo: „Ich wette, die Speisekarte ist auf abwaschbarem Werkstattpapier lösemittelbeständig gedruckt. Vorspeise: Zündkerzensalat mit Scheibenreiniger an Wischerblättern und Frostschutzsauce. Hauptgang: Kolbenragout mit cremigem Bremsflüssigkeitsschaum und luftigem Schlauchgemüse und zum Dessert flambierte Stückchen vom Winterreifen.“

Willi: „Oder zum Dessert ein Reifenprofil mit Vanillefüllung in karamellisierter Batteriesäure. Ich sag dir, das ist kein Lokal – das ist ein Wartungsritual mit Beilage.“

Carlo (grinst): „Vielleicht ist das Konzept: Du bringst dein defektes Weltbild, und sie servieren dir eine reparierte mechanische Realität mit Aioli.“

Willi: „Oder du bestellst ein Menü, und sie fragen: Mit oder ohne HU [2]?

Carlo: „Ich will eigentlich ja nur wissen, ob ich hier gut essen kann, ohne dass mir jemand die Stoßdämpfer wechselt.“

Willi (leise): „Carlo… schau mal auf das Schild links. Da steht: Heute: Chorizo mit Ölwechsel. Ich glaube, du bekommst beides.“

Carlo (nickt langsam): „Dann ist das hier vielleicht die Zukunft. Die Verschmelzung von Geschmack und Funktion.. Die Menschwerdung der Technik.“

Willi: „Ein Ort, an dem man satt und straßentauglich wird.“

Carlo: „Ein Ort, an dem die Gabel nicht nur zum Essen dient.“

Willi: „Ein Ort, an dem man sich fragt: War das jetzt ein Gang oder ein Gang?

Carlo: „Und am Ende zahlst du mit einem Bon, auf dem steht:
Speisen & Getränke: 28,55 €,
Reparatur der inneren Leere: unbezahlbar.

Willi (schaut nachdenklich auf die Tür): „Caramba… das ist wirklich especial.“*


  1. Hauptuntersuchung oder auch TÜV genannt
  2. dito

 

7. Folge: „Abgelatscht"

Die abgetragenen Stiefel, die Flasche, die Zigarettenpackung, alles sorgfältig drapiert um den Baum wie stille Zeugen eines Moments, der mehr war als nur Pause. Willi & Carlo sind auf ihrem Weg durch die Stadt stehengeblieben und philosophieren – über Vergänglichkeit, über Spuren, über das, was bleibt, wenn der Mensch weiterzieht.

Willi (leise, fast ehrfürchtig): „Siehst du, Carlo… das ist kein Müll. Das ist ein Altar. Ein stiller Gruß an das Leben, das hier verweilte. Vielleicht ein Wanderer, vielleicht ein Denker. Vielleicht jemand, der einfach nur kurz Mensch sein wollte.“

Carlo (nickt, setzt sich auf den Betonrand am nahen Brunnen): „Oder jemand, der sich selbst aus dem Kreis genommen hat. Die Schuhe – leer. Die Flasche – leer. Die Packung – fast ein Signet. ‘SIGNATURE’. Als hätte er gesagt: Das war ich. Und jetzt bin ich weiter.“

Willi: „Und der Baum? Der Baum sagt nichts. Er trägt es einfach. Wie die Zeit.“

Carlo: „Aber wir reden darüber. Und solange wir das tun, ist der Moment nicht vergangen. Er lebt in uns weiter.“

Willi (schaut auf die Stiefel, schnauft): „Zwei alte Latschen, eine Flasche, ein Zigarettenpäckchen. Vermutlich hat da jemand gesoffen, geraucht und dann seine Schuhe vergessen. Mehr ist da nicht.“

Carlo (lächelt verträumt): „Oder er hat sich befreit, Willi. Die Schuhe – ein Symbol für das Zurücklassen des Irdischen. Die Flasche – ein letzter Trunk auf das Leben. Und die Zigaretten? Vielleicht ein Gruß an die Vergänglichkeit.“

Willi: „Du siehst in allem ein Gedicht. Ich sehe: Beton, Kiesel, Müll. Und einen Baum, der das alles überlebt.“

Carlo: „Aber gerade das macht es doch schön! Der Mensch hinterlässt Spuren, ob gewollt oder nicht. Und wir, die wir sie deuten, geben ihnen Bedeutung.“

Willi (grummelt): „Bedeutung entsteht nicht durch Deutung, Carlo. Sie entsteht durch Handlung. Und die hier war bestenfalls fahrlässig.“

Carlo (setzt sich auf den Rand): „Vielleicht. Aber was, wenn der Moment, in dem er ging, ein Akt der Befreiung war? Vielleicht hat er sich selbst neu erfunden – barfuß, leicht, bereit.“

Willi: „Oder er hat einfach neue Schuhe gekauft.“

Carlo (noch immer auf dem Betonrand, mit einem Lächeln): „Vielleicht hat er sich selbst neu erfunden – barfuß, leicht, bereit.“

Willi (blickt lange auf die Szene, dann leise): „Weißt du, Carlo… manchmal denke ich, dass Dinge, die achtlos wirken, in Wahrheit die ehrlichsten sind. Diese Stiefel – sie haben getragen. Vielleicht durch Regen, durch Zweifel, durch Nächte ohne Ziel. Und jetzt stehen sie da, wie zwei müde Wächter, die sagen: 'Ich habe genug gesehen.'“

Carlo (überrascht, aber still): „Das klingt fast… poetisch, Willi.“

Willi (schmunzelt): „Vielleicht. Vielleicht ist Poesie ja nichts anderes als das, was bleibt, wenn der Pragmatismus Pause macht. Ich sehe jetzt nicht nur Müll. Ich sehe eine Geschichte, die keiner aufgeschrieben hat. Eine Flasche, leer – aber vielleicht war sie einst voller Hoffnung. Eine Packung Zigaretten, halb zerknüllt – wie ein letzter Versuch, sich festzuhalten.“

Carlo (nickt, bewegt): „Und der Baum?“

Willi: „Der Baum ist der stille Zeuge. Er urteilt nicht. Er trägt. So wie wir manchmal tragen müssen, was andere hinterlassen.“

Carlo: „Willi… du bist ein Realist mit Herz.“

Willi (leise): „Oder ein Poet, der zu lange Realist war.“

Die Zwei schlendern weiter zu einem Café in der Nähe und bestellen einen Kaffee. Willi einen Filterkaffee und Carlo einen Espresso.

Café „Zur stillen Bohne“ – ein Tisch am Fenster, zwei Tassen, eine dampfend, eine bereits halb leer.

Carlo (rührt seinen Espresso, schaut hinaus): „Weißt du, Willi… manchmal glaube ich, dass jeder Gegenstand, den wir zurücklassen, ein stiller Brief ist. Nicht an andere – sondern an uns selbst. Eine Erinnerung daran, dass wir da waren.“

Willi (nippt am Filterkaffee, seufzt): „Oder ein Beweis, dass wir weiter mussten. Ich hab lange gedacht, dass nur Worte Bedeutung schaffen. Aber vielleicht sind es gerade die wortlosen Dinge, die am lautesten sprechen.“

Carlo: „Du meinst, wie die Stiefel am Baum?“

Willi (lächelt): „Genau. Ich hab sie zuerst als Müll gesehen. Dann als Mahnung. Und jetzt… vielleicht als Gedicht. Ein Gedicht ohne Reime, aber mit Rhythmus.“

Carlo (nickt, leise): „Der Rhythmus des Gehens. Des Loslassens.“

Willi: „Und des Wiederfindens. Denn hier sitzen wir – zwei Denker, zwei Träumer, zwei Tassen. Und irgendwo da draußen geht jemand barfuß durch den Regen. Vielleicht leichter als je zuvor.“

Carlo (hebt die Tasse): „Auf die Spuren, die wir hinterlassen. Und auf die, die wir noch setzen werden.“

Willi (stößt an): „Und auf die Bäume, die alles tragen – ohne zu fragen.“


6. Folge: „Die Wurzel allen Denkens“

Ein stiller Wald, es geht ein linder Wind durch die Wipfel. Willi & Carlo wandern auf einem Waldpfad mit querliegenden Ästen und Wurzeln heran. Ein mächtiger Baum liegt gefallen, seine Wurzeln wie ein aufgeschlagenes Buch der Zeit.

Willi (nachdenklich, krault sich den Bart): „Siehst du das, Carlo? Dieser Baum war einst ein gewaltiger Riese. Stand stolz, trug Blätter, bot Schatten, war Heimat für Vögel und Käfer. Und nun liegt er da – gestürzt, entblößt, seine Wurzeln wie Adern, die das Herz der Erde berührten.“

Carlo (mit einem Ast als Spazierstock, schnippisch): „Ach Willi, du alter Romantiker. Vielleicht war’s einfach nur ein Sturm. Oder der Zahn der Zeit. Alles vergeht. Aber schau dir die Wurzeln an – wie ein Kunstwerk! Als hätte die Natur selbst einen letzten Pinselstrich gesetzt.“

Willi: „Aber ist das wirklich das Ende? Oder nur ein Übergang? Die Wurzeln, jetzt frei, erzählen tausend Geschichten. Der Stamm wird zu Humus, nährt neue Pflanzen. Vielleicht ist das Fallen selbst ein Akt der Weitergabe.“

Carlo (grinst): „Oder ein Statement: 'Ich bin fertig mit dem Stehen. Jetzt lieg ich und beobachte euch beim Denken.' Vielleicht wollte der Baum einfach mal chillen.“

Willi (leise): „Weißt du, Carlo… manchmal frage ich mich, ob wir wie dieser Baum sind. Verwurzelt in Ideen, aufrecht in Prinzipien – und irgendwann kommt ein Moment, der uns umwirft. Nicht aus Schwäche, sondern weil es eben an der Zeit ist, etwas Neues zu nähren.“

Carlo (blickt auf die Wurzeln, dann zu Willi): „Und was, wenn wir nie fallen, sondern nur anders wachsen? Horizontal statt vertikal. Breiter statt höher. Tiefer statt weiter.“

Willi (nickt): „Vielleicht ist das wahre Wachstum das, was nach dem Fall beginnt.“

Plötzlich raschelt es im Laub.
Ein Eichhörnchen springt auf den gefallenen Stamm, schaut Willi & Carlo an und sagt mit ernster Stimme:
„Ihr philosophiert über das Leben… aber ich frage euch: Wo habt ihr die Nüsse versteckt?“

Der Wald ist still, bis auf das gelegentliche Rascheln der Blätter. Willi & Carlo starren das Eichhörnchen an, das eben mit philosophischer Gravitas nach den Nüssen gefragt hat.

Carlo (flüstert): „Willi… hast du das gehört? Das Eichhörnchen spricht. Und zwar wie ein Professor mit dem Schwerpunkt harte Nüsse“

Willi (staunt): „Ich wusste, dass Tiere weise sind, aber das hier… das ist Kant mit Fell. Vielleicht ist es ein Waldgeist. Oder ein ehemaliger Philosophiestudent, der sich in ein Nagetier verwandelt hat, um der Welt die Nuss der Erkenntnis zu bringen.“

Eichhörnchen (setzt sich auf den Stamm, verschränkt die Pfötchen): „Ihr redet vom Kreislauf des Lebens, vom Fallen und Wachsen. Aber was ist mit Vorrat? Mit Vorbereitung? Mit dem kleinen Glück einer gut versteckten Haselnuss oder Pfoten voll Eicheln?“

Carlo (nickt langsam): „Du meinst… Philosophie ist schön, aber ohne Vorrat kein Wintertraum?“

Eichhörnchen: „Genau. Erkenntnis ist wie eine Nuss: Man muss sie knacken, bevor man sie genießen kann. Und manchmal ist die größte Weisheit, zu wissen, wo man sie vergraben hat.“

Willi (leise, ehrfürchtig): „Carlo… ich glaube, wir haben gerade unsere neue Lehrmeisterin gefunden.“

Carlo (grinst): „Und ich dachte, ich sei der mit den besten philosophischen Sprüchen. Aber dieses Eichhörnchen… das ist die kant´sche Aristoteles-Version mit buschigem Schwanz.“

Eichhörnchen (springt davon, ruft über die Schulter): „Denkt dran, ihr Philosophen: Wer zu viel denkt, vergisst manchmal, wo er seinen Nussvorrat gelassen hat!“


5. Folge: „Knete, Rost und Haltung“

Willi & Carlo stehen in einem kleinen Atelier, das eher nach Werkstatt aussieht. Vor ihnen: ein alter, rostiger Nagel in grauer Knetmasse. Die Szene ist still, andächtig, fast ehrfürchtig. Und dann beginnt Willi zu sprechen:

Willi (leise, fast nachdenklich): „Weißt du, Carlo… dieser Nagel da – der hat mal was gehalten. Vielleicht ein Brett, vielleicht ein Dach. Irgendwann war er wichtig. Und jetzt? Jetzt steckt er in Knete. Rostig, schief, vergessen.“

Carlo (nickt langsam): „Aber er steht noch. Nicht schön, nicht stolz, aber er steht. Vielleicht ist das schon genug.“

Willi: „Manchmal frag ich mich, ob wir Menschen nicht genauso sind. Wir werden irgendwo reingehämmert, halten was zusammen, und wenn wir nicht mehr gebraucht werden, steckt man uns in irgendwas Weiches, damit wir nicht ganz umfallen.“

Carlo: „Und der Rost? Der kommt mit der Zeit. Mit dem Wetter, mit dem Leben. Aber er zeigt auch, dass da was war. Dass da was gearbeitet hat.“

Willi (lächelt schief): „Vielleicht ist der Nagel gar kein Nagel mehr. Vielleicht ist er ein Denkmal. Für das, was war. Für das, was hält, obwohl es längst hätte loslassen können.“

Carlo: „Oder ein Mahnmal. Dass man nicht alles, was alt ist, einfach wegwerfen sollte.“

Willi (zieht einen Bolzen aus der Tasche, schwer, glänzend, neu): „Und weißt du, Carlo – manchmal braucht’s einen Bolzen. Einen, der nicht nur hält, sondern verbindet. Der nicht rostet, sondern trägt. Vielleicht ist das der Unterschied zwischen bloßem Festhalten und echtem Zusammenhalt.“

Willi (blickt weiter auf den Nagel, seine Stimme wird weicher): „Weißt du, Carlo… als ich noch Jungspund war, da hab ich mit meinem Vater zusammen alte Bretter aus’m Schuppen gezogen. Alles war schief und morsch, aber mein Alter hat gesagt: ‚Wenn der Nagel noch hält, dann taugt das Holz auch noch.‘“

Carlo (lächelt): „Klingt nach einem Mann, der wusste, wie man Dinge zusammenhält.“

Willi: „Ja, der konnte mit Händen reden. Hat mir beigebracht, dass man nicht immer alles neu machen muss. Manchmal reicht’s, wenn man was Altes wieder gerade klopft. Ich hab damals gelernt, dass ein bisschen Rost nicht das Ende ist – sondern der Anfang von Charakter.“

Carlo: „Und heute? Denkst du, wir haben das verlernt?“

Willi (schaut auf den Bolzen in seiner Hand): „Vielleicht. Heute wird alles ersetzt, bevor’s überhaupt richtig gelebt hat. Früher hat man repariert, heute wird ausgetauscht. Aber ich sag dir was, Carlo – ich wär lieber ein rostiger Nagel mit Geschichte als ein glänzender Bolzen ohne Seele.“

Carlo (nickt langsam, bewegt): „Dann lass uns weiter rosten, Willi. Aber mit Haltung.“

Willi (grinst): „Mit Haltung, Carlo. Und mit 'nem ordentlichen Hammerschlag, wenn’s drauf ankommt.“

Willi (blickt auf den rostigen Nagel, seine Stimme wird rauer, aber wärmer): „Weißt du, Carlo… als ich klein war, da hat mein Opa mir mal ’nen rostigen Nagel gezeigt. Der steckte in ’nem alten Balken, draußen am Schuppen. Und er hat gesagt: ‚Der hat den Sturm von ’45 überstanden. Der hat gehalten, als alles andere gefallen ist.‘“

Carlo (leise): „Ein Nagel als Zeuge der Geschichte.“

Willi: „Genau. Der war krumm, verrostet, aber er hat nicht losgelassen. Und mein Opa hat gesagt: ‚So muss man sein, Junge. Nicht glänzen, sondern halten.‘ Das hab ich nie vergessen.“

Carlo: „Und heute? Was hält uns noch zusammen?“

Willi (schaut auf den Bolzen in seiner Hand, dann wieder auf den Nagel): „Der Bolzen ist stark, keine Frage. Aber der Nagel… der hat gekämpft. Der hat sich durch Holz und Zeit gebohrt. Widerstand ist nicht immer laut. Manchmal ist er einfach nur: da.“

Carlo: „Wie Erinnerungen, die sich nicht wegwischen lassen. Die bleiben, auch wenn alles andere neu gestrichen wird.“

Willi: „Oder wie die alten Leute, die noch wissen, wie man mit den Händen denkt. Die nicht bei jedem Gegenwind umfallen. Die rostig sind, ja – aber voller Geschichten, voller Haltung.“

Carlo (nach einer Pause): „Vielleicht ist Widerstand genau das: sich nicht glattmachen lassen. Nicht rausziehen, nur weil man nicht mehr glänzt.“

Willi (nickt, fast feierlich): „Und wenn ich mal nicht mehr bin, Carlo – dann will ich, dass man sagt: Der Willi war wie ein rostiger Nagel. Nicht schön, aber verdammt fest drin.“

Carlo (blickt auf den Nagel, dann langsam zu Willi): „Weißt du, Willi… als ich noch ein kleiner Junge war, da hatte mein Vater so eine alte Werkzeugkiste. Holz, mit Metallbeschlägen, alles verbeult. Und in der Kiste war ein rostiger Nagel, ganz allein in einem Fach. Ich hab ihn mal rausgenommen, wollte ihn wegwerfen. Da hat mein Vater gesagt: ‚Lass den da. Der hat mir mal das Leben gerettet.‘“

Willi (hebt die Augenbraue): „Ein Nagel? Leben gerettet? Jetzt bin ich aber gespannt.“

Carlo (lächelt still): „Er war damals auf dem Bau, Gerüst ist eingekracht. Mein Vater hat sich an einem Balken festgeklammert – und der Balken hat gehalten, weil ein einziger Nagel ihn noch verbunden hat. Der da. Rostig, alt, aber zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“

Willi (leise): „Ein rostiger Nagel als Lebensretter. Das ist mal ’ne Geschichte.“

Carlo: „Seitdem hab ich verstanden, dass man nicht immer glänzen muss, um wichtig zu sein. Manchmal reicht es, einfach da zu sein. Fest. Verlässlich. Auch wenn man schon ein bisschen rostet.“

Willi (nickt langsam, legt den Bolzen neben den Nagel): „Dann lass uns beide lieber rostige Nägel sein, Carlo. Die glänzenden Bolzen kommen und gehen. Aber die, die halten, die bleiben.“

Carlo (schaut auf die beiden Metallstücke, fast ehrfürchtig): „Und vielleicht sind wir ja genau das – zwei alte Nägel, die noch was zusammenhalten. Erinnerungen. Haltung. Widerstand.“


4. Folge: „Die Kassenlogik“

Die Szene:
Ein kleiner Rastplatz irgendwo im Nirgendwo. Willi und Carlo stehen vor einer Holzhütte mit zwei Türen – zwei Kassen, zwei WCs. Willi starrt auf die Preisschilder, Carlo kaut an einem Käsebrot.

Willi: (schaut verwirrt auf das Schild) Groß 1 Euro, klein 2 Euro… Sag mal Carlo, bin ich blöd, oder ist das hier die erste Toilette mit Mengenrabatt?

Carlo: (grinst) Nee, das ist die neue Sparpolitik. Wer viel loswerden will, zahlt weniger. Ist wie bei der Steuer: Wer viel hat, wird entlastet.

Willi: Also wenn ich das richtig verstehe, dann lohnt sich’s, vorher ordentlich zu trinken. Wirtschaftlich gesehen.

Carlo: Genau. Und wenn du nur mal kurz musst, zahlst du drauf. Das ist die sogenannte „Mikrotransaktions-Toilette“.

Willi: (sarkastisch) Super. Bald kommt noch ’ne App, wo du vorher deinen Harndruck eingibst und dann wird dynamisch abgerechnet.

Carlo: „PipiPay – jetzt mit KI-gestützter Blasenerkennung.“ Und wenn du zu lange brauchst, gibt’s ne Strafgebühr.

Willi: Und was ist mit den zwei Kassen? Links und rechts, aber beide mit denselben Preisen. Ist das für Leute mit politischer Orientierung?

Carlo: Könnte sein. Links pinkeln, rechts pinkeln – Hauptsache zahlen. Neutralität kostet extra.

Willi: Ich sag’s dir, Carlo. Früher war die Toilette ein Ort der Freiheit. Heute ist sie ein Ort der Kapitalrendite.

Carlo: Und trotzdem gehst du gleich rein.

Willi: Natürlich. Ich hab schließlich groß vor.

(Willi geht zur Tür, zückt einen Euro. Carlo ruft ihm hinterher.)

Carlo: Vergiss nicht, die Quittung mitzunehmen – ist steuerlich absetzbar als „geschäftliche Erleichterung“!


3. Folge: „Die Weide denkt nicht – sie erinnert“

„Natur ist kein Ort. Sie ist ein Zustand, den wir verlernt haben.“ — Carlo

Dieses Bild ist ein Gedicht ohne Versmaß. Die hängenden Äste der Weiden sind keine Pflanzen – sie sind Gesten. Gesten des Rückzugs, der Demut, der Erinnerung. Die Wasseroberfläche, halb bedeckt mit grünem Schweigen, ist kein Spiegel. Sie ist ein Archiv.

Carlo sieht hier keine Landschaft. Er sieht eine Denkfigur:

- Die Weide als Symbol für das Geduldige
- Das Wasser als Speicher des Ungesagten
- Das Grün als Farbe der Wiederholung

Die Komposition ist symmetrisch, aber nicht starr. Sie atmet. Sie erlaubt dem Blick, sich zu verlieren – nicht aus Flucht, sondern aus Vertrauen.

Dieses Bild ist kein Ort, den man besucht. Es ist ein Zustand, den man betritt. Und vielleicht – ganz vielleicht – ist es ein Ort, an dem das Sein sich nicht erklären muss.

Szene: Am Teichrand - Willi & Carlo sprechen über Carlos Text

Willi: Du hast gerade eine Weide zur Philosophin gemacht. Ich hoffe, sie weiß das zu schätzen.

Carlo: Sie weiß es. Sie sagt nur nichts.

Willi: Weil sie ein Baum ist, Carlo. Ein Baum. Mit Blättern. Und Wurzeln. Und null Interesse an Denkfiguren.

Carlo: Aber genau darin liegt ihre Größe. Sie ist, ohne zu wollen. Sie wächst, ohne zu fragen.

Willi: Und du interpretierst, ohne zu bremsen. Ich meine: „Das Wasser als Archiv“? Archiv wovon? Enten?

Carlo: Von Zeit. Von Licht. Von allem, was vorbeiging, ohne Spuren zu hinterlassen.

Willi: Du bist heute besonders metaphysisch. Ich sehe einfach einen schönen Ort. Grün, ruhig, ein bisschen verwunschen. Fertig.

Carlo: Aber was ist Schönheit ohne Bedeutung?

Willi: Entspannung. Und das ist auch was wert.

Carlo: Vielleicht. Vielleicht ist das Bild ja beides: ein Ort zum Denken und ein Ort zum Nichtdenken.

Willi: Dann sind wir ausnahmsweise mal einer Meinung.

Carlo: Oder zumindest nicht völlig gegenteiliger Meinung.

Willi: Das ist bei uns schon fast Einigkeit.


2. Folge: „Gedanken zwischen Licht und Leise“

die beiden stehen auf dem Deich der Grav-Insel am Rhein und schauen über das Gelände und die Dächer der Mobil-Homes in den Sonnenuntergang.
Es entspinnt sich ein langer, sehr langer Dialog über die Schönheit des Motivs, aber andererseits auch über eine Traurigkeit bzw. Nachdenklichkeit, weil der Tag zu Ende geht und eine ungewisse Zukunft bevorsteht.

Willi (blickt in die Ferne): „Siehst du das, Carlo? Als hätte der Himmel selbst den Pinsel geführt. So viel Farbe… und doch spüre ich eine Leere.“

Carlo (leise): „Vielleicht ist es die Schönheit, die uns traurig macht. Weil sie vergänglich ist. Wie dieser Tag.“

Willi: „Oder weil wir nicht wissen, was morgen kommt. Die Mobil-Homes da unten… sie stehen still, aber wer weiß, wohin ihre Bewohner morgen fahren.“

Carlo: „Manchmal wünschte ich, ich wäre wie sie. Einfach losfahren, ohne Ziel, nur dem Licht hinterher.“

Willi (lächelt): „Und doch stehen wir hier. Am Deich. Und schauen dem Tag beim Gehen zu.“

Carlo (nach einer langen Pause): „Weißt du, Willi… manchmal frage ich mich, ob wir nicht auch wie diese Sonnenuntergänge sind. Schön, aber vergänglich. Jeder Tag ein kleines Leben.“

Willi (nickt langsam): „Und doch hoffen wir, dass morgen wieder einer kommt. Vielleicht nicht so farbenprächtig, aber immerhin ein neuer Anfang.“

Carlo: „Aber was, wenn der Morgen, das Morgen anders ist? Wenn er uns etwas nimmt, statt uns etwas zu geben?“

Willi (blickt auf die Mobil-Homes): „Dann müssen wir lernen, mit weniger zu leben. Mit dem, was bleibt. Vielleicht ist das die wahre Kunst.“

Carlo (leise): „Und was bleibt dir, Willi?“

Willi (lächelt traurig): „Du. Und dieser Moment. Mehr brauche ich gerade nicht.“

Carlo (lehnt sich gegen einen Schilderpfosten, die Stimme kaum hörbar): „Manchmal frage ich mich, ob wir überhaupt wissen, was wir suchen. Wir reden von Zukunft, von Wegen… aber vielleicht sind wir längst unterwegs, ohne es zu merken.“

Willi (schaut auf die langsam dunkler werdenden Wolken): „Vielleicht ist das Leben kein Ziel, sondern ein Zustand. Ein Fluss, der uns trägt, ob wir wollen oder nicht.“

Carlo: „Und wenn wir gegen die Strömung schwimmen? Aus Angst, etwas zu verpassen?“

Willi (lächelt müde): „Dann verlieren wir die Kraft, das Schöne zu sehen. So wie jetzt. Dieser Moment… er ist nicht geplant. Er ist einfach da.“

Carlo (nickt): „Wie ein Geschenk. Ohne Schleife. Ohne Garantie.“

Willi: „Aber echt. Und das ist mehr, als viele je bekommen.“

Carlo (nachdenklich): „Ich glaube, ich habe Angst vor der Stille nach dem Sonnenuntergang. Wenn alles grau wird und die Gedanken lauter.“

Willi: „Dann bleib ich bei dir. Und wir hören gemeinsam hin. Vielleicht sagt uns die Dunkelheit mehr, als das Licht je konnte.“

Carlo (blickt wieder auf die Mobil-Homes, seine Stimme wird weicher): „Weißt du noch, Willi… damals, als wir mit dem alten Bulli durch Südfrankreich gefahren sind? Kein Plan, kein Ziel. Nur die Straße und das Meer.“

Willi (lächelt, fast unmerklich): „Und dieser Campingplatz in der Camargue… mit den wilden Pferden in der Ferne. Du hast versucht, sie zu fotografieren, aber der Film war leer.“

Carlo (lacht leise): „Ich hab mich tagelang geärgert. Und du hast gesagt: ‚Manche Bilder gehören nur dem Herzen.‘ Ich hab das nie vergessen.“

Willi: „Damals schien die Zukunft wie ein offenes Fenster. Heute… eher wie ein Vorhang, der sich langsam schließt.“

Carlo: „Aber hinter jedem Vorhang kann eine neue Bühne liegen. Vielleicht nicht mehr für große Abenteuer… aber für kleine Wunder.“

Willi (nickt): „Wie dieser Sonnenuntergang. Wie dieser Moment. Vielleicht ist das genug.“

Carlo (leise): „Vielleicht ist es sogar alles.“

(Die Sonne ist fast verschwunden. Die Farben am Himmel verblassen. Eine lange, große Stille liegt über dem Deich.)

Carlo (flüstert): „Manchmal wünschte ich, wir könnten einfach stehen bleiben. Für immer. Genau hier.“

Willi (leise): „Aber selbst die Zeit bleibt nie stehen. Sie zieht weiter, wie der Fluss da unten.“

(Plötzlich, aus der Ferne, ein leises Geräusch wie ein Glockenspiel. Vielleicht von einem Fahrrad, das langsam über den Weg rollt. Oder von einem Kind, das irgendwo noch spielt. Der Ton ist zart, fast wie ein Windhauch.)

Carlo (horcht auf): „Hörst du das? Als würde uns jemand sagen: ‚Es geht weiter.‘“

Willi (lächelt): „Ja. Und vielleicht ist das gar nicht so schlimm.“

(Die beiden stehen noch einen Moment schweigend da. Dann drehen sie sich langsam um, gehen den Deich hinunter. Die Nacht beginnt.)


1. Folge: „Zwischen Kliff und Kante“

Willi und Carlo stehen am Rand des Abgrunds, wortwörtlich und gedanklich. Ihr Blick schweift über die weite See. Tiefhängende Wolken, der Wind trägt Gedanken davon, die Sonne streift hin und wieder über die Wasserfläche, und irgendwo zwischen Sand und Horizont beginnt der Dialog über Sein und Nichtsein.

Willi: (schaut aufs Wasser)
Da unten liegt alles, was war. Holz, das mal ein Baum am Haus war. Steine, die mal ein Haus waren. Und wir stehen hier und tun so, als wären wir nicht Teil davon.

Carlo:
Vielleicht sind wir das auch nicht. Vielleicht ist das Meer die Erinnerung, und wir sind nur die Idee davon.

Willi:
Du fängst schon wieder an. Ich sehe Wasser, Strand, Steine, Holz. Du siehst Konzepte.

Carlo:
Und du siehst nur das, was bleibt. Ich frage mich, was verschwindet. Was war hier, bevor wir standen? Was wird hier sein, wenn wir gehen?

Willi:
Das ist doch der Punkt: Wir sind hier. Jetzt. Das ist das Sein. Alles andere ist Spekulation.

Carlo:
Aber das Sein ist nie nur Jetzt. Es ist immer auch das Nichtsein, das mitschwingt. Die Möglichkeit, dass wir morgen nicht mehr sind. Dass dieses Bild nur ein Echo wird.

Willi: (bleibt still, dann leise)
Manchmal denke ich, das Meer weiß mehr über uns als wir selbst.

Carlo:
Weil es nicht fragt. Es nimmt. Es gibt. Es bleibt.

Willi:
Und wir? Wir reden. Wir denken. Wir zweifeln.

Carlo:
Das ist unser Fluch. Und unser Geschenk.

Willi:
Ich frage mich, ob das Holz da unten mal Teil von etwas Bedeutendem war. Ein alter Apfelbaum an dem jemandes Kinderschaukel hing.

Carlo:
Und jetzt liegt es da, vom Wasser gezeichnet, vom Wind geformt. Es ist nicht mehr das, was es war – aber vielleicht ist es jetzt mehr.

Willi:
Mehr?

Carlo:
Mehr, weil es frei ist von Zweck. Es ist einfach da. Wie wir. Nur dass wir es nicht aushalten, einfach da zu sein.

Willi:
Vielleicht ist das der Unterschied zwischen Mensch und Holz.

Carlo:
Oder zwischen Denken und Sein.

Willi: (zieht die Jacke enger)
Es wird kühl. Vielleicht sollten wir gehen.

Carlo:
Oder bleiben. Und still sein. Für einen Moment.

Willi:
Nur einen?

Carlo:
Nur einen. Aber den ganz.


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